1.11.2020: So geht Heiligkeit

Was braucht die Kirche heute am notwendigsten? Priester und Ordensleute, sagen die einen; verantwortungsbewusste Laien, sagen die anderen. Was sie am notwendigsten braucht? Heilige“, so der ehemaligen Bischof von Limburg, Franz Kamphaus vor einigen Jahren.

Das Evangelium zum Allerheiligentag, die Seligpreisungen, aufgeschrieben vom Evangelisten Matthäus, ist fraglos einer der Schlüsseltexte des Neuen Testaments. Meine Freunde von den kleinen Brüdern des Charles de Foucauld haben in diesen Tagen ihre Zeitschrift dem Thema „Chiamati alla santità – Gerufen zur Heiligkeit“ gewidmet.

Ein Porträt Jesu
Im ersten Artikel bezieht sich der Autor auf das Schreiben von Papst Franziskus „Gaudete et Exultate – Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ (März 2018). Nach Papst Franziskus ist der Weg der Heiligkeit immer der Weg der Seligpreisungen. Sie können als eine Art Porträt Jesu angesehen werden, das es uns ermöglicht, entscheidende Aspekte des Mysteriums der Person Jesu zu identifizieren. In den Augen von Papst Franziskus sind die Seligpreisungen tiefgreifend konstitutiv für Jesus. Die Seligpreisungen finden in ihm ihre volle Bedeutung. „Die Seligpreisungen sind gleichsam der Personalausweis des Christen […]. In ihnen zeichnet sich das Antlitz des Meisters ab; wir sind gerufen, es im Alltag unseres Lebens durchscheinen zu lassen“, so schreibt der Papst. Jesus ist derjenige, der die Seligpreisungen perfekt gelebt hat und in ihnen finden wir sein wahres Gesicht, seine tiefste Identität. Der selige Charles de Foucauld – so der Autor des Artikels – schrieb, dass „es notwendig ist, die Seligpreisungen gut zu kennen, um den Herrn nachzuahmen, weil sie ein Spiegel sind, in dem er sich gewissermaßen spiegelt“.

Der Traum einer neuen Menschheit
In einem anderen Artikel dieser Zeitschrift schreibt Don Giorgio Pisano, Pfarrer am Fuß des Vesuvs in einem der dichtest besiedelten Regionen Italiens: „Versuchen wir, die Seligpreisungen nach Matthäus zu lesen, ausgehend von den sozialen Problemen unserer Zeit, während wir mit dem Auferstandenen auf den Straßen der Welt wandeln. Auf dem Berg der Seligpreisungen beginnt das »schönste christliche Abenteuer« und auf demselben Berg beginnt das Mandat des auferstandenen Jesus an die Jünger: »Geht in die ganze Welt und macht Jünger aller Nationen«.
Darauf beginnt auch der Weg der Jünger aller Zeiten, denen Jesus den Traum einer neuen Menschheit anvertraut und ihnen anvertraut“. Und ein wenig später folgert er: „Aus den Seligpreisungen geht hervor, dass die einfache Existenz derer, die versucht haben, glaubwürdig zu sein, anstatt fälschlicherweise zu glauben, sich wie beim Weben löst. Wenn wir sterben, wird uns niemand fragen, wie sehr wir gläubig, wohl aber glaubwürdig waren. Das notwendige und unersetzliche Gut heute ist es, Zeugen im Licht des Geistes der Seligpreisungen zu werden“. Dann geht er auf die Seligpreisungen ein und deutet sie konkret auf unsere Lebenssituation. Nur einige Beispiele möchte ich zitieren.

  • Selig sind diejenigen, die sich gemeinsam von Sanftmut und Empörung, von Leidenschaft, Mitgefühl und Kompromiss für den anderen berühren lassen.
  • Selig sind diejenigen, die niemanden missbrauchen und das Gesetz der Gewaltlosigkeit akzeptieren, das stärker und wirksamer ist als jede Handlung der Gewalttätigen.
  • Selig sind diejenigen, die ein Herz haben, das frei von weltlichen und selbstsüchtigen Ängsten und Wünschen ist.
  • Selig sind diejenigen, die auf der klaren und entschlossenen Suche vor dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit einfache Pilger auf Erden werden, sicher, dass der Rest „ihnen im Überfluss gegeben wird.

So geht Heiligkeit
Vielleicht prägen wir uns abschließend ein, was Papst Franziskus in seiner Schrift „Gaudete et Exultate“ im Blick auf jede der Seligpreisungen und ihre Einladung jeweils wie einen Merksatz hinter jeden Abschnitt schreibt:

„Im Herzen arm sein, das ist Heiligkeit.“
Mit demütiger Sanftmut reagieren, das ist Heiligkeit.
Mit den anderen zu trauern wissen, das ist Heiligkeit.
Voll Hunger und Durst die Gerechtigkeit suchen, das ist Heiligkeit.
Mit Barmherzigkeit zu schauen und zu handeln, das ist Heiligkeit.
Das Herz rein halten von allem, was die Liebe befleckt, das ist Heiligkeit.
Um uns herum Frieden säen, das ist Heiligkeit.
Jeden Tag den Weg des Evangeliums annehmen, auch wenn er Schwierigkeiten mit sich bringt, das ist Heiligkeit“.

Jetzt darum noch einmal der Satz vom Anfang, mit dem jeder und jede von uns doch gemeint ist. „Was braucht die Kirche heute am notwendigsten? Priester und Ordensleute, sagen die einen; verantwortungsbewusste Laien, sagen die anderen. Was sie am notwendigsten braucht? Heilige.

Das Bild von der Kassettendecke der Kirche von St. Niklausen oberhalb von Flüeli, dem Ort des heiligen Bruder Klaus von der Flüe, zeigt auf seine Weise die Schar der Heiligen.

Bernhard Auel