Zu den bekanntesten Kompositionen Johann Sebastian Bachs (1685-1750) gehören sicher die rund 200 geistlichen Kantaten und Motetten, die er für den sonntäglichen Gottesdienst schuf. Im Leipziger Bachhaus ist die Bibel ausgestellt, die Bach immer wieder las und für seine Arbeit heranzog, auch mit handschriftlichen Randbemerkungen versah. Den ersten Vers der heutigen Lesung, Vers 26 aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes vertonte er in der Motette: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ (BWV 226).
Es war ein Auftragswerk. Jakob Heinrich Ernesti, langjähriger Rektor der Thomasschule und Professor an der Leipziger Universität hatte diesen Text für sein Begräbnis ausgewählt. Dazu sollte Bach eine Motette schaffen. In großartiger Weise interpretiert Bach mit seiner Musik den Text. So wie der Text in seiner musikalischen Fassung im Jahr 1729 Trost spenden sollte, vermag er dies auch heute. Aber hören Sie selbst:
Nehmen wir den Text aus dem Römerbrief genauer in Blick, denn er kann auch heute in unseren Tagen Hilfe und Trost sein.
Paulus schreibt diesen Brief einer noch jungen Gemeinde, für die längst nicht alles klar ist. Wie wird sich die Welt entwickeln, wie darin die Gemeinde bewähren, was ist der vor Gott richtige Weg? Wie sollen wir handeln, wie beten? Die Fragen sind uns nicht fremd, auch wenn die Kirche in unserem Land schon viele Generationen alt ist, vieles sich längst eingeschliffen hat, scheinbar selbstverständlich ist.
Und dann sind sie doch da die Fragen: Wie geht das weiter mit der Welt, so viele Katastrophen, so viele offene und umstrittene Fragen?
Wie geht das weiter mit der Kirche, mit unseren Gemeinden?
Und das gerade in einer Zeit, die seit Monaten alles auf den Kopf stellt. Wie sollen wir also reagieren auf all das, was um uns herum geschieht? All die Fragen sind gar nicht so weit entfernt von dem, was Bachs Auftraggeber kurz vor seinem Tod beschäftigt haben mag, als er diesen Text für sein Begräbnis auswählte.
Man müsste sicher noch die unserer Textstelle vorangehenden Verse mithören. Paulus gibt uns darin seine Antwort, indem er von einem dreifachen Seufzen spricht. Was bedeutet dieses Bild vom Seufzen, „Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“? Das Seufzen bringt ein intensives, aber gleichsam unterdrücktes, jedoch nicht zu stillendes Verlangen zum Ausdruck, das aus dem tiefsten Inneren kommt. Für Paulus bedeutet es das Verlangen nach dem Offenbarwerden von Gottes Herrlichkeit am Ende der Geschichte.
Er spricht zuerst vom Seufzen der Schöpfung: „Die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und liegt in Geburtswehen“. Der Apostel erkennt dieses Seufzen vor allem in der physischen Schöpfung, besonders dann im Werk der Kultur, in der Gesellschaft, bei den Völkern und ihrer Entwicklung, in der Geschichte der Nationen und in den Kriegen. Alles ist voll von diesem Seufzen. Wer denkt da nicht an all die Fragen zum Klimawandel und der Bewahrung der Schöpfung.
Dann richtet Paulus seinen Blick auf unser Seufzen, die wir an Jesus Christus glauben, der uns im Evangelium begegnet, daran, dass wir uns vom Geist des Gebetes leiten lassen und so fähig werden, der Sehnsucht nach Einheit unter den Menschen Ausdruck zu verleihen. „Auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir … als Söhne offenbar werden“. So formuliert es Paulus. Es ist das Seufzen eines Glaubenden, eines Menschen, der die Kraft des Evangeliums, die Kraft der Auferstehung Jesu spürt, die imstande ist, die Menschheit zur Einheit zu führen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit ist dies zum Ausdruck zu bringen, gerade auch in dem Bewusstsein, dass noch so vieles im Argen liegt, unserem Einfluss, unseren Möglichkeiten derzeit aber entzogen.
In einem Buch über den Apostel Paulus macht der große Bibelkenner Kardinal Carlo Maria Martini (1927-2012) auf die vielen Enttäuschungen aufmerksam und die Rückschläge, die Paulus zu erleiden hatte. Gewissermaßen konsequent ist da der Satz aus dem Abschnitt, den wir eben gehört haben, unser Seufzen wird unterstützt vom Seufzen des Heiligen Geistes: „Der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“. So hilft uns also der Heilige Geist, der in uns wohnt, die Wege Gottes und den geschichtlichen Weg der Menschheit zur Einheit des Gottesreiches zu unterscheiden, damit wir als Kirche dieser Einheit unter den Menschen dienen. Genau darauf weist Jesus hin, wenn er den Seinen sagt: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabgekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein“.
Öffnen wir unser Herz, all unsere Sinne, damit wir wieder mehr sensibel werden für dieses dreifache Seufzen, damit wir mit der Unterstützung des Heiligen Geistes unsere Kritikfähigkeit, die Fähigkeit zu unterscheiden, neu schulen lernen. Dann wissen wir, wie wir handeln und wie wir beten sollen. Erinnern wir uns daran, dass wir doch schon in der Taufe und dann wieder in der Firmung beschenkt worden sind mit diesem Heiligen Geist. Lassen wir ihn in uns zu Wort kommen, denn er tritt so, wie Gott es will, für uns ein.
Die beiden Bilder mit den Fresken aus der Abteikirche der Zisterzienser von Stift Rein nahe Graz mögen auf ihre Art auch eine Einladung sein zum Gebet.
Bernhard Auel