17.9.2020: Gedenke, dass Du grünst!

Heute, am Fest der heiligen Hildegard, 2012 von Papst Benedikt zur Kirchenlehrerin erklärt, erinnere ich mich der Fastenzeit 2017 an unserem Bonner Münster. Mit einem Wort der großen Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen hatten wir uns auf den Weg durch diese Zeit gemacht: „Mensch, gedenke, dass du grünst.“ Und ein Garten hat uns geholfen, die Grünkraft in uns, in mir, neu zu entdecken, dieser Kraft in unserem Leben auf die Spur zu kommen.

Dagmar Zechel / pixelio.de

Lesen wir auch heute noch einmal bei Hildegard, die vor über 900 Jahren einen Weg gezeigt hat, der heute wieder an Zustimmung und Bedeutung gewinnt. Tatsächlich gehört in ihrem Werk der Begriff der „viriditas – der Grünkraft“ zu den prägnantesten Formulierungen. Damit lässt sich zeigen, wie die natürliche Vernunft im Dienst des Glaubens stehen kann. Vom Erleben der Natur, im Betrachten der Schöpfung bedenkt Hildegard das menschliche Leben und seine Beziehung zu Gott im Glauben. So spricht sie vom „Grün des Fingers Gottes“ und an anderer Stelle: „Gott, der mich erschaffen, der wie ein Herr Seine Gewalt über mich hat, ist auch meine Kraft, weil ich ohne Ihn nichts Gutes zu tun vermag, weil ich nur durch Ihn den lebendigen Geist habe, durch den ich lebe und bewegt werde, durch den ich alle meine Wege kennenlerne.“

Auf dem Weg unserer Erfahrungen, positiven wie negativen, kann uns der auch für Hildegard – wie wir wissen – oft herausgeforderte Glauben helfen. So interessant und sicher auch lesenswert ihre Rezepte und ökologischen Erkenntnisse sind, das macht sie nicht zur Kirchenlehrerin. Ihre geistlichen Texte freilich umso mehr. Das war 2017 der Grund, dem nachzugehen. Unter Berufung auf einen Vers aus der Leidensgeschichte bei Lukas (23,31) bezeichnet Hildegard den Sohn Gottes als das grüne Holz, weil er alle Grünkraft der Tugenden hervorbrachte. Jesus hatte auf seinem Kreuzweg zu den Frauen, die ihm begegneten, gesagt: „Wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren werden?“ In einem Gebet, das Hildegard Christus selbst in den Mund legt, betet sie daher:

Im Anfang grünten alle Geschöpfe,
es blühten die Blumen zur Mitte der Zeit;
dann aber verdorrte die Lebenskraft.
Vater, ich bin ja dein Sohn!
Sieh mit der Liebe her auf mich,
mit der du mich sandtest in die Welt.
Betrachte die Wunden,
durch die ich die Menschen
nach deinem Auftrag erlöste.
Erbarme dich ihrer und lasse nicht zu,
dass aus dem Buche des Lebens ausgetilgt werde ihr Name!
Durch das Blut meiner Wunden hole sie in der Reue wieder zu dir zurück.
Ihr Menschen alle, beugt jetzt die Knie vor euerm Vater, damit er euch
reichen kann seine hilfreiche Hand!

In einem anderen Gebet gibt Hildegard gewissermaßen ihre Antwort. Damit möchte ich uns einladen, auf dem Weg des Glaubens die Ermunterung Hildegards nicht zu vergessen, wenn sie uns zuruft: „Mensch, gedenke, dass du grünst.“ Sie betet:

Erlöst durch das Blut des Gotteslammes
lasst uns von ganzem Herzen frohlocken, uns freuen aus ganzer Seele in dir,
dreifaltiger Gott, der uns erhält.
Wir wollen gedenken des himmlischen Lohns
für alle Leiden und Nöte, die uns die Feinde der Wahrheit bereitet.
Sie gelten uns nichts
im Vergleich zu der Freude,
mit der wir deine Gebote verkosten.
Wer die Werke der Heiligkeit wirkt, umfängt dich in wahrer, vollkomm’ner Liebe;
den Liebenden gibst du ja alle Güter
und schenkst ihnen schließlich das ewige Leben.
O Christus, so herrlich und überaus schön,
du bist die Auferstehung zum Leben.
Hilf uns, beharrlich zu bleiben,
um mit dir uns zu freuen.
Lass uns doch niemals getrennt sein von dir!

Wenn in unseren Tagen zu Recht von der Bedeutung der Frauen in der Kirche zu sprechen ist, dann mag die heilige Hildegard auch sehr viel zu diesem Thema beitragen: Frauen haben uns eben viel zu sagen.

Bernhard Auel