Tageslesungen 1 Kön 19,16b.19-21 | Gal 5,1.13-18 | Lk 9,51-62
Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den festen Entschluß, nach Jerusalem zu gehen. (Lk 9,51)
Von Franz Kafka ist uns eine kurze Erzählung mit dem Titel „Der Aufbruch“ erhalten: »Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tor hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitest du, Herr?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“
„Nur weg von hier!“ – präganter kann man einen Aufbruch nicht beschreiben.
Aufbruch – das ist vor allem ein biblisches Thema:
Denn, was wäre aus Israel geworden, wenn das Volk nicht immer wieder in der Wüste aufgebrochen wäre?
Welche Dynamik und Freude steckt im AufbruchW der Hirten aus der Weihnachtserzählung: „Kommt, wir gehen nach Bethlehem …!“
Was wäre aus dem Apostel Paulus geworden, wenn er nicht immer wieder aufgebrochen wäre auf gefahrvolle Wege zu Land und zu Wasser gewagt hätte?
Und schließlich der Aufbruch aller Aufbrüche, von dem das heutige Evangelium erzählt: die Entscheidung Jesu, nach Jerusalem zu gehen, um zu den Willen des Vaters zu erfüllen.
„Als die Zeit
seiner Aufnahme sich erfüllte, machte er das Angesicht hart zu gehen nach
Jerusalem.“,
so die wörtliche Übersetzung des griechischen Textes.
Einige
Grundzüge echten Aufbruchs werden hier sichtbar – sie decken sich mit den
Erfahrungen unseres Lebens, das auch immer wieder Aufbrüche kennt.
• Aus der Sicht des Glaubenden ist der Aufbruch ein geistlicher Prozess. Was will Gott von mir in dieser Situation? Jesus weiß darum und tut, was jetzt an der Reihe ist.
• Aufbruch bedarf des Entschlusses und der Entschiedenheit. Jesus lässt sich auf seinem Weg von niemandem behindern oder abhalten. Auch nicht von den Samaritern, die ihm die Gastfreundschaft verweigern, weil er ihrer Meinung nach das falsche Ziel hat. Für sie fand man das Heil in Samaria und nicht in Jerusalem.
• Aufbruch ist Bewegung auf ein Ziel hin, keine Flucht. – Dabei geht gar nicht darum, einen Ort zu verlassen. Ich kann auch aufbrechen aus Gewohnheiten, aus Haltungen, aus Einstellungen.
• Aufbruch richtet das Leben aus, nach vorne, in die Zukunft, gibt ihm Sinn und Erfüllung.
• Wer den Aufbruch wagt, muss auch mit Hindernissen rechnen und sie überwinden wollen.
Schauen
Sie einmal auf die Aufbrüche in Ihrem Leben. Kein Leben geschieht ohne
Aufbrüche, ohne Bewegung – hoffentlich.
Wir tun gut daran, für Möglichkeiten des Aufbruchs sensibler zu werden und sie als Glaubende zu deuten.
Es
gilt, ein Gespür für Aufbrüche zu entwickeln – für stille und dramatische, für
geplante und unerwartete, von innen kommend oder von außen angestoßen.
Solange ein Leben von Aufbruchstimmung geprägt ist, bleibt es Dynamisch, hat es Sinn und Ausrichtung. Selbst dann , wenn jemand aufbricht zu seinem letzten irdischen Weg.
Das
erste Wort, das Papst Franziskus den Kardinälen nach seiner Wahl mitgab, war
das Wort „camminare“ – einen Weg
machen. Wer einen Weg machen will, bricht auf!
So wird das Aufbrechen schon fast zu einem Erkennungszeichen des glaubenden Menschen. Der Herr macht es uns vor. Lassen wir uns darauf ein, persönlich, als seine Gemeinde vor Ort, als seine Kirche. Wagen wir den Aufbruch!
Tageslesungen Sach 12,10-11; 13,1 | Gal 3,26-29 | Lk 9,18-24
Community – ein neues Wort für eine alte Sache – „Gemeinschaft“. Community – damit sind heute oft die virtuellen Communities gemeint, die sozialen Netzwerken, die über den Globus hinweg Menschen verbinden, ob sie nun Facebook heißen, oder Twitter, Snapchat, YouTube – wie auch immer..
Wieso haben sie einen solchen Zulauf? Vielleicht weil wir uns alle danach sehnen, wenigstens zu einer Gemeinschaft , einer Community dazu zu gehören. Viele suchen sich deshalb temporäre Lebensgemeinschaften, in die sie freiwillig ein- und austreten können, entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen.
Für die christliche Gemeinschaft gilt das nicht. Die Gemeinschaft der Getauften verträgt kein Klassen- und kein Standesdenken, nicht die Aufteilung in Geschlechter, in Altersgruppen, in Einheimische und Fremde, in Gesunde und Kranke, – oder wie es der Apostel formuliert: „ Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27 – 28)
Diese Gemeinschaft ist real, nicht virtuell, und steht unter der großen Frage: „Ihr aber, für wen haltet Ihr mich?“ (Lk 9,20) Wir spüren, bei der Antwort geht es nicht um den Katechismus, nicht um eine Sammlung von auswendig gelernten Glaubenswahrheiten. Hier geht es um uns ganz persönlich. Hier geht es um unsere Beziehung zu Christus.
Beziehungen aber haben es heute schwer; denn wir leben in
einer Zeit, in der alles zum Event, zum Erlebnis werden – der Einkauf, die
Reise, der Kinobesuch, auch die Beziehung, und auch der Glaube. Das Leben ist die Fülle seiner Möglichkeiten,
sagt die Erlebniswelt.
Da wirkt die Stelle im heutigen Evangelium wie Faustschlag: „Wer sein Leben retten will, sagt Jesus, der wird es verlieren“. (Lk 9, 24) Der Widerspruch zur Erlebniswelt scheint nicht nur unüberbrückbar, er ist es auch! Jesus also der Spielverderber, der den Menschen nichts gönnt.
Bevor wir so urteilen: schauen wir auf uns selbst: Widerspruch ist ja auch in uns selber. Am liebsten wäre den meisten wahrscheinlich beides: ein Leben als Fülle aller Möglichkeiten auszuschöpfen, gleichsam von Erlebnis zu Erlebnis zu leben- und ein Leben als Fülle von guten Taten für andere.
Zugleich aber wissen wir auch, daß beides zusammen nicht geht. Es geht uns, wie dem Petrus, der versucht hat, dem Herrn dienen und dann, wenn dieser Dienst mühsam zu werden beginnt, schnell die eigene Haut rettet.
Es gibt nicht das „Sowohl-als-auch“ – jeder, der es
schon einmal versucht hat, weiß wie einen dieses Lebensprinzip zerreißen kann.
Gelungenes Leben braucht Eindeutigkeit: Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten.
Ein Wort, das auch Furcht auslöst, denn ich könnte doch etwas verpassen, etwas verlieren, ohne etwas zu finden. Vielleicht beginnt die Nachfolge Jesu in diesem Wort mit der Ehrlichkeit: genau so sind wir –
wie
der reiche Jüngling, der erfülltes Leben dringend begehrt und doch im letzten
Augenblick davor zurückschreckt und den ihm vertrauten Weg geht, der ihn nichts
kostet;
wie
der Tempeldiener und der Priester, die an dem ohnmächtigen Menschen im Graben
vorübergehen und dabei nur auf sich selber sehen.
Jesus kennt unsere Zerrissenheiten ganz genau. Er weiß wie
oft wir nur das Beste wollen und es doch verfehlen, weil wir am Bequemen
hängenbleiben.
So dürfen wir sein. Wir verlieren seine Zuwendung dennoch
nicht. Er weiß, wie schwer der Weg ist, von dem er spricht und den er lebt. Und
gerade deswegen spricht er immer wieder davon. Er will, daß wir den Weg wagen,
weil er weiß, daß dieser Weg nicht nur ihm, sondern allen Menschen in der Tiefe
das Heil bringen wird.
Wer sein Leben verliert um
meinetwillen, der wird es retten.
Das heißt:
Wer auf sein Recht verzichtet und Gnade walten läßt, wird Leben verlieren und finden.
Wer auch in einer angeblichen Ausweglosigkeit nach Möglichkeiten zum Frieden sucht, wird Leben verlieren und finden.
Wer anderen Menschen aus der Verachtung durch Menschen heraushilft, wird Leben verlieren und finden.
Wer um der Liebe willen Leid auf sich nimmt, wird Leben verlieren und finden.
Wer teilt, was ihm gehört, wird Leben verlieren und finden.
Vielleicht geht es gar nicht darum, dies sofort und immer vierundzwanzig Stunden am Tag zu tun, sondern zuerst darum, es einmal zu tun, ein einziges Mal, um von dem Heil zu kosten, das in Jesu Worten liegt. Und es dann immer wieder zu tun, um darin das Leben zu finden.
Tageslesungen Gen 14,18 – 20 | 1 Kor 11,23-26 | Lk 9,11b-7
Rund 150.000Deutsche wandern Jahr für Jahr aus
Deutschland aus. Die einen aus Abenteuerlust, die anderen weil sie sich eine
günstigere Perspektive für ihren Beruf oder bessere Aufstiegschancen erhoffen.
Andere meinen, im Ausland mit ihrer geringen Rente besser zurecht zu kommen,
und manche kehren der großen Liebe wegen ihrem Heimatland den Rücken zu.
„Zieh in das Land, das ich dir zeigen werde „–so haben wir dieses von Fronleichnamsfest hier auf der Insel Juist in diesem Jahr überschrieben. „Zieh das Land das ich dir zeigen werde“, ist allerdings nicht nur ein Motto, das die Situation der Auswanderer beschreibt. Das Leben vieler Menschen kennt heute die Notwendigkeit, Gewohntes zu verlassen und Neues, Unbekanntes anzustreben.
Im Gegensatz zu den Generationen vor uns ist heute die Bereitschaft zur Mobilität und Flexibilität fast schon eine Voraussetzung für das Wohlergehen. Und wie bei den Auswanderern gibt es viele Gründe und Notwendigkeiten, aufzubrechen. Unser Leitwort „Zieh in das Land, das ich dir zeigen werde“ ist der Heiligen Schrift entnommen, wie wir eben in der Lesung gehört haben. (ausgewählte Lesung zum Thema passend) Es ist das Wort Gottes an Abraham. Es ist das erste Wort, das Gott je zu einem Menschen gesprochen hat. Ist das nicht anmaßend, dass wir uns mit dieser Themenwahl vergleichen mit Abraham? Abraham ist der „Vater der Glaubenden“ und der Freund Gottes(2 Chr 20,7; Jes 41,8). Deshalb hat dieses Wort Gottes an ihn fast schon programmatischen Charakter. Was Gott dem Abraham sagt, gilt auch uns.
Schauen wir es unter drei Perspektiven an:
Zieh
hinweg
Ein
Segen sollst du sein
Aufbruch
Zieh hinweg
Im hebräischen Text steht das Verb zweimal, so als wolle Gott die Absolutheit des Befehls unterstreichen. „Lech lecha“ heisst es da! Geh fort! Geh fort! Zieh hinweg! Zieh hinweg! Kümmere dich um nichts anderes, geh deinen Weg. durchschneide alle Bande, geh, ohne zurückzublicken. Geh aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft, aus dem Haus deines Vaters. weg von allen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und gefühlsmäßigen Bindungen -und das alles nur weil Gott ruft!
Vielleicht hätten Sie sich bei manchem Aufbruch in Ihrem Leben auch so ein unabdingbares Wort gewünscht! Statt aller Einwände und Bedenken ein klares „Zieh hinweg!“. Für den glaubenden Menschen können die Aufbrüche seines Lebens Momente sein, in denen Gott in sein Leben eingreift, in denen er sich fragt, wohin Gott ihn ruft. Es gibt viele Gründe, das Gewohnte zu verlassen -für den Glaubenden kommt immer noch der Moment des göttlichen Willens hinzu. Das mag im Augenblick des Aufbruchs nicht immer direkt einleuchtend sein. Aber wenn ich zurückschaue auf die Aufbrüche meines Lebens, vermag ich darin schon Gottes Ruf zu erkennen. „Man kann das Leben nur rückwärts verstehen , aber man muss es vorwärts leben.“ sagt Kierkegard.
Ein Segen sollst du sein
„Segen“ -das ist auch für aufgeklärte
Zeitgenossen etwas ganz Wichtiges. Das Wort gehört auch schon zum säkularen
Sprachgebrauch: ein Mensch, eine Sache, manchmal sogar das Wetter wird zum
Segen für andere. Aber der Segen ist etwas zutiefst Göttliches. „Du sollst
ein Segen sein“. In Abraham offenbart Gott die überströmende Fülle des
Segens. Wer Segen ausspricht, erwartet etwas von Gott, öffnet eine neue Dimension
-verlässt das KleinKlein der Alltäglichkeiten. Wer um Segen bittet für sich
oder andere, erwartet die Sichtbarkeit Gottes in der Welt. Wer sich unter den
Segen stellt erwartet etwas: die Spürbarkeit Gottes in seinem Leben. Segnen
heißt Hoffnung haben, Zukunft haben, dem Leben trauen. Ein Segen sein für
andere -nicht Richter sein über andere, nicht Lehrer sein, nicht Herrscher
sein.
Pessimisten können nicht segnen, weil sie nicht an das
Leben und seine Chancen und Möglichkeit glauben. Diese Welt könnte wahrlich
anders aussehen, wenn die Glaubenden -wie Abraham -sich darauf einließen, Segen
sein zu wollen für andere.
Aufbruch
Nun könnte man meinen, das alles sei gesagt für eine
bestimmte Altersgruppe, für die Jungen, die das Leben mit seinen Aufbrüchen
noch vor sich haben. Alle die anderen, die sich bereits im Leben eingerichtet
haben, die sich die Sicherheiten erworben haben, die man für ein sorgenfreies
Leben benötigt, könnten sich jetzt zurücklehnen und zuschauen, wie sich die
anderen abstrampeln, um den Wort Gottes gerecht zu werden -wenn es da nicht
diesen kleinen Nachsatz gäbe: „Abram war fünfundsiebzig Jahre alt, als er
aus Haran fortzog“.
Der Protagonist der Geschichte ist kein junger Held, sondern ein alter Mann,
der seine Vergangenheit vergessen soll, dem eine große Zukunft verheißen wird. Und
damit gibt es für uns auch keine Möglichkeit, uns aus dem Staub zu machen.
Das Wort an Abraham gilt auch uns. „Abraham
geht“ -so wie nach ihm viele Glaubende in der Geschichte. Glaube heißt
immer auch: in Bewegung sein. Nicht stillstehen und meinen, man sei ein guter
Christ und damit sei es genug. Es geht nicht nur darum, zu glauben, dass es
einen Himmel gibt, sondern auch darum ihn zu suchen.
Abraham ist der erste Mensch, der weiß, dass das alles
hier nicht schon alles ist; dass wir immer wieder aufbrechen müssen; dass wir
ein Ziel brauchen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Er kann seinen Weg
gehen, weil er auf Gott vertraut. Von ihm her weiß er: Es wird schon alles gut!
Darum geht es auch heute an diesem Festtag: unsere
Prozession wird zum Sinnbild für die Aufbrüche in unserem Leben. Unsere
Prozession zeigt unsere Bereitschaft, dass wir ein Segen sein wollen für die
Menschen. Unsere Prozession ist ein Bekenntnis, dass wir als Glaubende
unterwegs sind durch diese Welt hindurch in das Land, das Gott uns zeigen will.
„Wie hältst du’s mit der Religion?“ die berühmte Gretchenfrage in Goethes Faust. Wie halten wir es mit der Religion? Wie halten wir es in unserem persönlichen Leben und in unseren Familien, in unseren Gesprächen und in unseren täglichen Aufgaben mit der Religion? In jedem Menschen steckt zutiefst das Bedürfnis und die Sehnsucht nach dem Ewigen, dem Verlässlichen, dem Transzendenten. Immer häufiger suchen sie nach einer Erfüllung außerhalb der Kirchen. Ich fand für diese Situation ein schönes Bild: Es ist wie mit einer großen, alten Glocke, die nicht zu läuten aufhört. Aber je nach Lage der Witterung, nach der Windrichtung und je nach Lautstärke von anderen Tönen und Geräuschen ist ihr Klang einmal stärker und einmal schwächer und manchmal auch gar nicht hörbar. Der alte Glockenton, der von Gott kündet, lässt heute gar nicht so wenige Menschen aufhorchen, und manche Herzen beginnen in seinem Klang zu vibrieren.
Überall gibt es sie:
Menschen, welche die Berührung mit dem unsichtbaren Geheimnis suchen.
Sie gehen still in Kirchen und ersehnen einen Augenblick innerer Ruhe.
Sie gehen auf alten Pilgerwegen – etwa nach Santiago – und spüren dabei den Pfaden ihres Seelenlebens nach.
Sie suchen nach geistlichen Ratgebern und hoffen auf Wegführer zu treffen, die sie über ihren Alltag hinaus führen.
Viele Menschen empfinden im
Vielerlei ihres Lebens einen ”Verlust von Einheit und Identität” und sind auf
der ”Suche nach Halt und Mitte”.
Dabei halten sie sich die
Menschen nicht an vorgegebene Muster – Sie entwerfen ihr Leben selbst. Dazu
gehört nicht selten auch eine ”Patchwork-Religion“ aus ganz
unterschiedlichen Elementen wie bei einem Flickenteppich zusammengefügt werden.
Der religiöse Glaube, in welcher Weise auch immer, wird als eine ausschließlich
private Angelegenheit betrachtet, und lässt sich nicht so einfach in kirchliche
Strukturen einpassen.
Die
Menschen leben heute in einer „Wüste der Möglichkeiten“ (Gertrud von Le Fort).
Vieles zerrinnt ihnen zwischen den Fingern wie Treibsand. Wo sind die Oasen,
wo sich ausruhen lässt? Wo sind die
Orte, wo es eindeutig wird?
Auf welchen Gott treffen solche
suchenden Menschen bei uns, welchen Gott haben wir ihnen zu verkündigen,
welchen Gott bezeugen wir ihnen in unserem christlichen Leben?
Das heutige Fest sagt, dass für uns Gott nicht ein nebulöses Etwas ist, ein höheres Wesen nach dem Motto: „Irgendetwas wird es schon geben.“ Wir dürfen Gott als eine Wirklichkeit sehen, die ansprechbar ist und die selber zu uns spricht, als einen Gott, zu dem wir kommen können und der selber zu uns kommt. Es handelt sich um ein „Du“ und nicht um ein unpersönliches „Es“.
Die biblische und christliche Tradition unterstützt diese Überzeugung, indem sie von Gott nicht bloß in abstrakten Bildern spricht, sondern indem sie sich ihn auf manchmal höchst menschliche Weise vorgestellt hat: mit einem Gesicht, mit Augen und Ohren, mit einem Herzen und einer Stimme, sogar mit Emotionen, manchmal sicherlich auch mit etwas abstrusen Bildern wie dem alten Mann mit dem Bart – wie auf manchem Altarbild.
Solche Vorstellungen können die
Wirklichkeit Gottes nie zur Gänze ausdrücken, aber ein Gott, der uns nahe sein
will, bedarf solcher Bilder, damit wir diese Nähe, seine Gegenwart und
Gemeinschaft mit uns erahnen können, mehr noch, dass sie begreiflich,
handgreiflich wird.
Diese Gottesvorstellung
leuchtet auf im Geheimnis der Dreifaltigkeit und in jedem Kreuzzeichen „Im
Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ wird sie uns förmlich
auf den Leib geschrieben.
Gott ist als Vater der „Gott über
uns“. Wir erkennen in ihm den Schöpfer von Welt und Menschen. Er ist ewig und
unendlich nicht zuletzt in seiner Liebe.
Und Gott ist im Sohn der „Gott vor uns und neben uns“.
Wir dürfen in ihm unseren Erlöser sehen, der uns vorangeht und zugleich mit uns
geht. In ihm hat sich Gott tatsächlich ein menschliches Gesicht und eine
menschliche Stimme gegeben.
Und Gott ist schließlich als Heiliger Geist der „Gott in uns“, der
von innen her in uns wirkt und das Werk unserer Heiligung vollzieht, das heißt:
uns mit göttlichem Leben und göttlicher Kraft und göttlicher Liebe erfüllt.
Dieser dreifaltige Gott ist „das Leben unseres Lebens“!
„Wie hältst du’s mit der Religion, wie hältst du’s mit Gott?“ – Als Christen können wir sagen: Gott hält es mit uns. Das ist die Glocke, die wir in Schwingung halten müssen. Damit die, die auf der Suche sind, sie hören – und zu denen gehören auch wir.
Pfingsten 2019 Kirche St.Sebastian Bickenriede/Eichsfeld
Lieber
Guido, liebe Schwestern und Brüder in Christus,
Mit großer Feierlichkeit haben Sie gestern Abend und
heute Guido Funke in seiner Heimatgemeinde willkommen geheißen und man könnte
schon fast befürchten, sie wollten ihn damit auf ein hochwürdiges Podest
stellen. Aber die Zeit für hochwürdige Podeste ist auch im Eichsfeld vorbei.
Sie feiern heute, dass einer von Ihnen ernst macht mit
dem, was allen Christen aufgetragen ist, wozu wir alle berufen sind. Sie
würdigen seine Entscheidung, die gefallen ist in einem langen Prozess der
Berufung.
Und vielleicht denkt manch eine und einer von Ihnen, was der Guido da erlebt
hat, das kenne ich auch – als mich entschieden habe, meinen Beruf zu ergreifen,
als ich mich entschieden habe, meine Frau, meinen Mann zu heiraten, als ich
eine lebenswichtige Entscheidung getroffen habe. Das geht meistens nicht von
jetzt auf gleich.
Lieber Guido. Als ich vor über einem
Jahr aus Anlass deiner Diakonenweihe hier in der Kirche saß und wusste, dass
ich hier auch die Primizpredigt halten sollte, war mir klar: ich lasse diese
Kirche predigen, in der Du groß geworden bist.
Sie ist dem Hl. Sebastian geweiht. Dessen Schicksal wünschen wir Dir nicht.
Gerne möchte ich meine Wünsche an Dich an drei Heiligen orientieren, die in
diesem Raum dargestellt sind:
Der
Heilige Petrus hier vorne im Pfingstbild auf dem Ambo
Die
Heilige Gertrud rechts am Altar
und
den Heiligen Bernhard links am Altar.
Wahrscheinlich hat Du sie oft angeschaut, wenn Du hier
am Gottesdienst teilgenommen hast.
1) Petrus
Wir sehen hier vorne auf dem Ambo den Hl. Petrus bei
seiner flammenden Predigt am Pfingstfest. Aber es gibt noch eine andere Stunde
im Leben des Petrus, die verbunden ist mit deinem Weihespruch „Dein Wille
geschehe!“
Es ist der Abend von Getsemani. Dort erlebt Petrus
einen Jesus, den er so noch nie gesehen hat: weinend, kämpfend, ringend, Blut
und Wasser schwitzend. Einen Menschen voller Angst und schließlich voller
Gehorsam. „Dein Wille geschehe!“
Es soll noch schlimmer kommen: Judas, der Gefährte in
den die Wanderjahren durch Israel, kommt mit Soldaten, die Jesus verhaften. Und
der lässt sich verhaften! Das ist nicht mehr der Jesus, den Petrus bisher
erlebt hat: Bisher hat er es doch immer geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu
ziehen. An wie viele brenzlige Situationen kann sich Petrus erinnern. Wo ist
dieser machtvolle Jesus? Wo ist dieser Jesus, den er als den Christus, den
Messias feierlich bekannt hatte? Ist das dieser Mann – schwach, gefesselt
zwischen den Soldaten und Gerichtsdienern. Nein! Für diesen Menschen hat er
nicht alles verlassen – den Beruf, die Familie, die Heimat. In Petrus bricht
alles zusammen. Sollte er sich so getäuscht haben? „Ihr alle werdet in dieser
Nacht an mir irre werden;“ so hatte Jesus es beim Abendmahl angekündigt. Petrus
erlebt es – mit seiner ganzen Existenz.
Ich wünsche Dir, lieber Guido, dass Du dies nie
erleben musst!
Zwischen Getsemani und Pfingsten steht die Begegnung
des Petrus mit dem Auferstandenen am See Genezareth. „Simon. Liebst du mich?“ fragt der Herr seinen Jünger. Er fragt
nicht, hast Du alles begriffen, was ich gepredigt habe. Hast Du mein Leben,
meine Sendung verstanden? Weißt Du jetzt was es heißt, den Willen des Vaters zu
tun?
„Liebst du mich“, fragt ihn der Herr und im
griechischen Text steht eine Vokabel, die von der ganz großen Liebe spricht,
die einzigartig ist und nur dem einen, der einen gilt. Wenn wir das wissen,
dann spüren wir plötzlich, wie schwer die Frage und erst recht wie schwer die
Antwort ist.
Und wieder in den griechischen Text geschaut, lautet die
Antwort des Petrus: „Herr, Du weißt, dass
ich Dein Freund bin“. So kannst Du, lieber Guido, so können wir alle
antworten: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dein Freund sein will“. Du suchst
Menschen, die so, wie sie sind, für dich brennen. Sieh nicht den Petrus in mir,
sieh nicht den Kaplan Funke in mir, sondern den Simon, den Guido, den Du wie
damals den Simon am See gerufen hast mit seinen Licht- und Schattenseiten.
Lieber Guido, sag es dem Herrn immer wieder: „Ja,
Herr, du weißt, dass ich dein Freund sein will“.
2) Die hl. Gertrud von Helfta
Als Rheinländer steht mir die Hl. Gertrud von Nivelles
aus dem nahen Belgien etwas näher und ich musste mich erst mit dieser großen
Frau aus dem 13.Jahrhundert etwas näher beschäftigen. Sie wird „die Große“
genannt. Mit fünf Jahren kam sie, wohl ein Waisenkind, ins Kloster Helfta bei
Eisleben, das zisterziensisch geprägt war, ohne dem Zisterzienserorden
anzugehören.
Ihre theologischen Schriften sind sehr mühsam zu
lesen, weil ihre Sprache nicht mehr unsere Sprache ist und ihre Bilder sich uns
heute nicht sofort erschließen.
In einem ihrer Werke fand ich ein Wort, das ich Dir
gerne mitgeben möchte: „Gott habe
Erbarmen mit mir, und er sage mir Segen und Heil; […..] auf daß mich auf
rechten festen Boden führe sein lebenspendender Geisthauch, der gut ist.“
(aus Exercitium I 7-12).
Heute ist Pfingsten, wir feiern Gottes lebensspenden
Geist, der gut ist – wie die hl. Gertrud mit Recht feststellt. Neben dem
Ungeist, den wir oft erleben, neben dem bösen Geist, der sich in Wort und Taten
der Menschen nicht selten äußert, ist Gottes Geist der gute Geist, dessen
Früchte im Galaterbrief beschrieben werden: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut
und Enthaltsamkeit“ (Gal 5, 22)
Von daher verwundert es, wenn es von der Hl. Gertrud
heißt: „Stundenlang war sie den Menschen ihrer Umgebung Zuhörerin, Ratgeberin,
Trösterin. Gleichzeitig war sie eine hochgebildete und künstlerisch begabte
Frau.“
Lieber Guido, Zuhören, Ratgeben, Trösten – ich weiß,
dass Du das kannst. Ich wünsche Dir die Kraft dazu. Besonders das Letzte ist
wichtig: „wir sind berufen, zu trösten“
sagt Papst Franziskus (5.5.2016)
3.
Der Heilige Bernhard
Er lebte zu Beginn des 12.Jahrhunderts. 1115 gründete
er das Kloster in Clairvaux und von dort aus 68 Klöster. Fünf Ordensgründungen
des Zisterzienserordens gab es im Eichsfeld. Darunter die Abtei Reifenstein,
die schon 1162 entstand. Und natürlich in unmittelbarer Nachbarschaft die
Zisterzienserinnenabtei Anrode, die auf das 1267 zurückgeht. Der Bickenrieder
Vitus Recke war im letzten Jahrhundert Abt der Abtei Himmerod, die von Bernhard
von Clairvaux gegründet wurde.
Also darf Dich der Hl. Bernhard an diesem Festtag auch
begleiten. Du ahnst vielleicht schon, welches Wort von ihm ich Dir mitgeben
möchte: „Gönne Dich Dir selbst“. Er
schrieb es seinem Schüler Papst Eugen III. Aber es gilt für jeden von uns, ob
Kleriker oder Laie. „Wenn also alle
Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein Mensch, der ein
Recht auf sich selbst hat. […] Wie lange noch schenkst du allen anderen deine
Aufmerksamkeit, nur nicht dir selber! […] Ich sag nicht: Tu das immer, ich sage
nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle
anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
Das sage ich nicht nur Dir, lieber Guido, das sage ich
den Ehefrauen und Ehemännern, den Müttern und Vätern, den Großväter und Großmüttern.
Das gilt jedem und jeder: Gönne Dich Dir selbst!
Ich habe als junger Priester den Fehler gemacht, ganz
in der Arbeit aufzugehen. Es gibt so viel zu tun und man freut sich, endlich
fertig zu sein und tun zu können, was man immer schon tun wollte. Und schnell
vergisst man sich selbst, die Familie, die Freunde, Menschen, die einem wichtig
sind! Widerstehe der Versuchung und „gönne Dich Dir selbst!“
Lieber Guido, das sind meine Wünsche an diesem Festtag
an Dich – orientiert an den Heiligen deiner Heimatkirche. Nimm sie mit als
Gefährtin und Gefährten auf Deinem Weg.
Primizpredigt 9.Juni 2919 – Primiz nennt man die erste Messe, die ein neugeweihter Priester mit seiner Heimatgemeinde feiert.
(c) Wilfried Schumacher
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