Tageslesungen
Gen 18,20-31 | Kol 2,12-14 | Lk 11,1-13
Abraham konnte feilschen. Ein echter Orientale. Man sollte hellwach sein, wenn man von ihm ein Kamel oder einen Teppich kauft. Beim ursprünglichen Preis wird es nicht bleiben. Aber hier feilscht Abraham nicht um ein Kamel und nicht um einen Teppich. Hier feilscht er um das Leben von Menschen. Mehr noch, es geht um die Gerechtigkeit überhaupt.
Man versteht das etwas besser, wenn man die zwei Verse hinzunimmt, die vor der heutigen Lesung aus dem Buch Genesis stehen. Gott hatte Abraham verheißen, dass er zum Segen werde allen Völkern der Erde (Gen 12,3). Deswegen zieht Gott ihn ins Vertrauen. Unrecht und Ausbeutung in Sodom sind zu Gott gedrungen, denn wo kein Richter auf Erden den Schrei des Armen hört, dringt der Schrei zu Gott. Laut aber ist der Schrei über Sodom. Das Unrecht und die Gewalt der Bewohner bringen der Stadt den Untergang. Gott findet, Abraham sollte das wissen, denn er „soll doch zu einem großen, mächtigen Volk werden, durch ihn sollen alle Völker der Erde Segen erlangen“ (Gen 18,18).
Deswegen legt Abraham Fürbitte ein vor Gott. Der „Vater des Glaubens„, wie ihn Paulus nennt (Röm 4,12), ist auch ein Lehrer des Gebets.
Für ihn ist Beten der Einsatz vor Gott und das Ringen mit Gott um das Leben der Menschen. Nicht weil Gott das Leben der Menschen bedrohen würde. Im Gegenteil: Weil nur so der Schrei des Armen auf Erden gehört wird, wenn schon nicht von den Zuständigen und Richtern, so doch von den Betern.
Abraham tritt nahe heran an seinen Gott, voll Vertrauen. Und dann feilscht er mit Gott im Gebet, wie es nur ein Orientale kann.
Schließlich einigen sie sich: zehn Gerechte können Sodom vor dem Untergang bewahren. Die Bibel macht keine Angaben, wie groß die Stadt war. Aber zehn Gerechte – und patriarchalisch wie wir sind, meint das natürlich zehn Männer plus Frauen, Kinder und Sklaven – sind wohl bestenfalls ein paar Prozent der Einwohner. Aber diese könnten das Ruder herumwerfen.
In Demokratien zählt die Mehrheit. Das ist auch gut so. Dort aber, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht, dort kommt es auf die ganz wenigen an, die sich dem Unrecht widersetzen. Die Resignation vor der Masse ist keine Entschuldigung vor Gott. Es hätten zehn Gerechte ausgereicht, Sodom vor dem Untergang zu bewahren.
Zehn Männer braucht es für einen jüdischen Gottesdienst. Zehn (egal ob Männer oder Frauen!), die nicht verstummen, sondern den Schrei der Armen vor Gott tragen, können etwas bewirken. Vor Gott und im Gebet durchbrechen sie das Schweigen, das den Mächtigen nützt, um weiter Unrecht zu üben.
Gott schenkt seine Nähe dem, der sich ihm nähert. Im Gebet verweben wir unsere Welt mit Gottes Gegenwart. Dort wo gebetet wird kann Gottes Geist gegenwärtig sein. In Abraham wird deutlich, dass Gott den Menschen ernst nimmt als Partner.
Der betende Mensch ist ein Segen für andere. Denn wo Gottes Namen genannt wird, da wird daran erinnert, dass der Mensch nicht dazu bestimmt ist, Spielball der Mächtigen dieser Welt zu sein, sondern Gottes Ebenbild.
(c) Wilfried Schumacher