Der Tod führt in unserer Welt ein Einsiedlerdasein –
wir haben ihn abgeschoben und verdrängt –
wenn dann aber der Tod in unser Leben tritt,
wenn jemand stirbt, den wir geliebt, gekannt, geschätzt haben,
werden wir unsicher, verlegen, befällt uns die Angst –
der Tod des Anderen bringt die Wahrheit über uns mit sich; wir ahnen, der Tod ist der Ernstfall des Lebens!
Reden wir also nicht nur von den Toten, reden wir auch von uns.
Im Johannes-Evangelium steht das Wort Jesu:
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer.
Winzer sein, d.h. nicht zuerst Wein ernten und verkaufen, sondern sich um den Weinstock und die Rebe kümmern. Der gute Wein fällt nicht vom Himmel, er fällt auch nicht in den Schoß. Der Winzer muss oft in den Weinberg gehen, um am Ende die Traube zu ernten.
Vor diesem Hintergrund: welch eine Aussage: Gott ein Winzer! Gott kümmert sich um uns!
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, sagt Jesus.
Wo wir nur die edlen Reben sehen und von ihnen sagen, sie seien wie „gemalt“ – sehen wir nur den letzten Stand. Nicht den Regen, nicht den Wind, nicht die Schädlinge, nicht all’ das, was das vergangene Jahr gebracht hat. Wer mit geschultem Auge die Reben betrachtet, sieht an ihnen die Geschichte eines Jahres.
Für unsere Toten ist mit ihrem Tod die Zeit der Ernte gekommen. Der Winzer betrachtet die Ernte und fällt sein Urteil über den Ertrag, den sie bringt. Unsere Toten sind in die Hand Gottes gelegt worden. Der weiß, was ihr Leben ausgemacht hat.
Für den Winzer gibt es besondere Gelegenheiten, seinen Wein vorzustellen. Man spricht von der „Weinprobe“. Probieren geht über Studieren, sagen die Leute. Und lassen sich auf der Zunge zergehen, was ihnen an Köstlichkeiten gereicht wird. Schlucke, ja, Schlückchen genügen, um über den Wein ins Schwärmen zu geraten. Geradezu blumig wird über ihn geredet. Aber die Kenner verstehen – auch ohne Formeln, ohne Befunde, Wein ist etwas Schönes, ist ein Geschenk! Ein Wunder! Ein Gedicht! Vielleicht ein Gebet.
Was aber ist, wenn statt der Weinprobe die Lebensprobe angesagt wird? Da vergeht vieles nicht mehr auf der Zunge, sondern bleibt im Halse stecken. Geschwärmt wird auch nicht immer. Dafür ist vieles zu sauer, zu fade, hat manches einen schlechten Beigeschmack. So mancher Mensch bleibt ganz allein mit der Probe seines Lebens.
Der Allerseelen-Tag lädt immer auch, das eigene Leben zu betrachten. Wird man von mir sagen, dass ich ein „guter Jahrgang“ bin?
Bitten wir deshalb, dass es uns gelingt, dem Bild des Evangeliums zu entsprechen: Ich möchte wie die Rebe am Weinstock sein. Wachsen. Die Erde und die Sonne aufnehmen. Für Menschen eine Freude werden. Ihr Leben schön und reich machen. Zu einem Fest einladen. Jesus, der sich als Weinstock vorstellt, hat besonders die Mühseligen und Beladenen zu sich gerufen. Mit ihnen hat er gefeiert. Vor den Augen der Menschen, die sie längst abgeschrieben haben. Wein ist ein Bild für Leben.
Von vielen Toten, die wir beweinen, können wir gewiss sagen, dass sie ein guter Jahrgang waren. Beten wir für sie an diesem Tag und seien wir dankbar. Vor allem aber lassen wir ihnen einen Platz in der Schatzkammer unseres Herzens, wo die guten Erinnerungen aufbewahrt werden.
(C) Wilfried Schumacher
Vielen Dank!