Tageslesungen
2 Sam 5,1-3 | Kol 1,12-20 | Lk 23,35b – 43
Heute noch wirst Du mit mir im Paradiese sein! (Lk 23,43)
Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!
[…]
Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel –
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!
Heinrich Heine, aus: Deutschland. Ein Wintermärchen. Caput XIII
Ist das der König, den wir heute feiern? Ein unglücklicher Schwärmer, ein warnendes Exempel? Ist dies wirklich das Bild, das das Lukas-Evangelium von ihm zeichnet?
Das 23.Kapitel des Lukas-Evangeliums erscheint mir wie die gewaltige Schlußszene am Ende eines Dramas, auf die alles zuläuft, in der alles gipfelt, in der sich alles löst.
Nachdem er die Führer des Volkes und die Soldaten beschrieben hat, nimmt Lukas die drei an den Kreuzen in den Blick:
- Den einen, der mitmacht, wie die anderen drumherum, der selbst in dieser Situation nicht zur Besinnung kommt –
- Der andere, der es als Einziger in dieser ganzen Szene wagt, gegen den Strom zu schwimmen,
er erkennt, wer dieser Jesus ist,
er schaut tiefer als die anderen,
für ihn wird die Bedeutung seines Lebens vor dem Hintergrund des Schicksals Jesu offenbar,
so gerinnt sein ganzes Leben zu dieser einen Bitte: Denk an mich, wenn du in deiner Macht als König kommst. - Und dann der sterbende Jesus,
der ohne Macht, ohn-mächtig zwischen Himmel und Erde hängt,
er setzt einen Akt höchster Hoheit, höchster Autorität: Heute noch wirst du mit mir im -Paradiese sein!
Jesus – der einzig Freie in dieser Szene!
Das Wort an den Mitgekreuzigten klingt wie die Zusammenfassung seines ganzen Lebens, noch in der Todesstunde praktiziert er das, was die Menschen an ihm erlebt haben: Zuwendung, Hinwendung zum Menschen.
Heute – so sagt er dem anderen, damit meint er nicht eine Zeitangabe zwischen gestern und Morgen –
Heute – das ist die Heilsansage,
heute, das heißt „hier und jetzt“ ereignet sich das Heil an dir!
Das macht sein Königtum, seine Herrschaft aus.
Es ist lohnt sich, bei dieser Szene zu verweilen:
Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein – das ist im Lukas-Evangelium das letzte Wort, das Jesus zu einem Menschen spricht.
Das letzte Wort an einen Menschen. Ein Wort, das die beiden Sterbenden verbindet: Egal, was jetzt geschieht – Und wenn sich die Sonne über Jerusalem im nächsten Augenblick verfinstern wird und die Erde sich auftut, den beiden Sterbenden wird das nichts anhaben. Sie wissen um die andere Welt. Sie wissen und sagen sich, daß nichts so bleiben wird, wie es ist. Gott ist hat letzte Wort, nicht die Dinge der Menschen.
So blüht in diesem Wort auf dem Kreuzigungshügel in Jerusalem die Hoffnung auf: unsere Endgültigkeiten und die fürchterlichen Schmerzen, die Menschen einander zufügen, sind nicht letzte Worte und schon gar keine Gottesworte sind, sondern Menschenwort und Menschenwerk.
Seit jenem Zwiegespräch am Kreuz liegt ein Trost über der Welt. Es gibt noch eine andere Welt. Die machen wir nicht, Gott sei Dank. Dort herrschen wir nicht, Gott sei Dank. Dort wird Gottes Herrschaft endgültig offenbar werden.
Diese Hoffnung kann ein ganzes Leben tragen.
Denn: Auch wir sind ans Kreuz geschlagen:
Ans Kreuz unser Ohnmacht,
Angenagelt an unseren Charakter,
Fixiert auf unsere Begabung, unsere Anlagen, unsere Vergangenheit, Festgenagelt an die Aufgabe die wir übernommen haben, an die Familie, die Sprache, die Nation, das Jahrhundert
Wenn mir dies alles zur Last wird, kann ich resignieren und verzweifeln, solche Stunden als Zeiten der Gott-Ferne erleben,
oder: ich kann neben mir den erkennen, der sich nicht das Bequeme, nicht das Gefällige ausgesucht hat, der gekommen ist, unser Schicksal, unser Angenageltsein bis zum Äußersten mit- und durchgetragen hat
Und dann ganz schlicht sagen: denk an mich!
Ich bin gewiß, dann werde ich vom Herrn selbst hören: Heute noch, hier und jetzt will ich, daß du heil wirst! Amen
(c) Wilfried Schumacher