2.Sonntag im Jahreskreis: Jesus zum Vorschein bringen

Tageslesungen
Jes 49, 3.5-6 | 1 Kor 1, 1-3 | Joh 1, 20-34
Doch dass er in Israel zum Vorschein komme – darum bin ich gekommen. (Joh 1, 31)

Eines der bedeutendsten Gemälde, das Johannes, den Täufer zeigt, ist das Kreuzigungsbild des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar im Elsass. Da sieht man den Täufer unter dem Kreuz. Er streckt seinen Arm aus, der Zeigefinger ist überlang und weist hin auf den Gekreuzigten. (siehe auch das Kopfbild dieser Seite!) Allerdings: heute würde man sagen, das Bild ist ein „Fake“, denn der Täufer war zur Zeit der Kreuzigung Jesu nachweislich schon tot.

Was Matthis Grünewald sich da in künstlerischer Freiheit erlaubt hat, ist wie eine Illustration unseres heutigen Evangeliums aus dem ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums.  Es erzählt die erste Geschichte von Jesu öffentlichem Auftreten in diesem Evangelium. Wir haben Worte gehört, die uns bekannt vorkommen: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ oder das Bild vom Geist, der vom Himmel herabkam wie eine Taube oder das abschließende Bekenntnis „Dieser ist der Sohn Gottes“. Eine Menge Theologie in wenigen Sätzen.

Ich bin an einem ganz anderen Satz hängen geblieben, der uns vielleicht hilft, einen Zugang zu dem Text zu finden. Da hörten wir eben aus dem Mund des Täufers Johannes: „Ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird“. „Offenbart wird“ – das ist schon wieder eine theologische Sprache, die die meisten von uns nicht sprechen.

In der alten Einheitsübersetzung hieß es: „um Israel mit ihm bekanntzumachen“. Vielleicht etwas flach und unverbindlich. Da gefällt mir die Übersetzung besser, die ich bei Fridolin Stier gefunden habe: „Doch dass er in Israel zum Vorschein komme – darum bin ich gekommen.

Einen anderen zum Vorschein kommen lassen. Vielleicht können Eltern, Erzieher, Ausbilder den Satz am ehesten nachvollziehen. Wer einen Menschen erzieht, muss das Neue und Eigenständige in seinem Leben entdecken, anerkennen und so zum Vorschein bringen. Nur so werden die Fähigkeiten und Fertigkeiten des anderen geweckt.

Den anderen zum Vorschein kommen lassen: das ist auch ein Satz für Menschen, die als Partner miteinander leben. Es miteinander in Treue auszuhalten heißt ja nicht, eine Beziehung einzufrieren. Nach dem Motto: „So wie ich dich jetzt sehe und liebe, so wirst und musst du bleiben.“ Treue zueinander schließt das Versprechen ein, den anderen immer mehr zum Vorschein kommen zu lassen.

Jesus zum Vorschein kommen lassen: das ist die Berufsbeschreibung des Täufers Johannes. Wundervoll illustriert auf dem Gemälde des Isenheimer Altars mit dem ausgestreckten Zeigefinger und im Neuen Testament nachzulesen, etwa wenn Johannes seine Schüler auffordert, nicht mehr ihm sondern Jesus nachzugehen.

Jesus zum Vorschein kommen lassen – das Wort steht nach der Weihnachtszeit am Beginn des Jahres: könnte dies nicht eine Aufgabenbeschreibung für jeden einzelnen Christen/Christin sein?

Von der Hl. Edith Stein stammt das Wort: Du sollst sein wie ein Fenster, durch das Gottes Liebe in die Welt hineinleuchten will. Die Scheibe darf nicht stumpf und schmutzig sein. Sonst verhinderst du das Leuchten Gottes in der Welt.

Jesus zum Vorschein bringen, das Leuchten Gottes in der Welt zu ermöglichen – in unserem Reden und Tun, in der Art und Weise, wie wir geschäftlich und politisch handeln, wie wir in der Familie miteinander umgehen, wie wir uns in den sozialen Netzwerken äußern.

Dann würde unser Leben gleichsam zu einem ausgetreckten Arm und einem überlangen Zeigefinger: Seht, da ist der Sohn Gottes! Da gelingt nicht immer, auch im Leben des Täufers gab es Zweifel. Aber wir können uns darin üben. Jeden Tag, indem wir uns auch kritisch fragen: ist es mir heute gelungen, Jesus zum Vorschein zur bringen, das Leuchten Gottes in der Welt zu ermöglichen. Ärgern Sie sich nicht, wenn es wieder einmal schief gegangen ist, sondern freuen Sie sich über alle Stunden, in denen es Ihnen gelungen ist.

(c) Wilfried Schumacher

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