Vor gut 20 Jahren lief in den Kinos in Deutschland ein Zeichentrickfilm „Der Prinz von Ägyptern“. Er erzählte die Geschichte des Moses und endet mit dem großen Exodus, der Befreiung aus der Knechtschaft und Sklaverei.
Ein Film nicht nur für Kinder -Ashira ha adonai – Führe uns, o Herr – singen die Menschen, junge und alte, Kinder und Greise als sie durch das Rote Meer in die Freiheit ziehen – das Lachen, ihre Fröhlichkeit ist ansteckend.

In diesen Tagen erleben wir den Exodus eines ganzen Volkes mitten in Europa – wer bei den abendlichen Fernsehnachrichten in die Gesichter der Menschen schaut, dem vergeht das Lachen. Angst, Verzweiflung, Hunger, Schmerz, –
das ist kein Zug in die Freiheit, das ist Vertreibung, verbunden mit einem furchtbaren Massaker, mit unvorstellbarer Zerstörung der Heimat, mit dem Tod vieler Menschen. Die meisten Frauen sind ohne Männer, die Kinder ohne Väter.
Wir schauen in Augen ohne Hoffnung – und feiern jetzt in dieser Stunde eine Botschaft voller Hoffnung – wie passt das zusammen? Müssten wir nicht die Kerzen löschen, müsste uns nicht das Halleluja auf unseren Lippen ersterben und müssten wir uns nicht in aller Stille davon schleichen.
Ist nicht das Kreuz eher die Realität des menschlichen Lebens?
Es gibt so viele theologische Sätze, die mir als Antwort einfallen – aber sie passen nicht zu den Bildern aus der Ukraine, zu den Bildern vom Tempelberg gestern, zu den Bildern aus dem Ahrtal, 20 km von meiner Wohnung entfernt, wo viele Tausend Menschen in der Flut im letzten Sommer alles verloren haben.

Es sind leere Sätze, Makulatur. Ich mag sie nicht hören und erst recht nicht weitersagen.
Ich weiß, was da in Ost-Europa geschieht, ist nichts Unbekanntes – das Leid ist auf dieser Welt zuhause – im Großen wie im Kleinen – und von vielen schlimmen Dingen erfahren wir nichts, weil keine Kamera die Bilder einfängt.
Wie aber klingt dann unsere Osterbotschaft? Erreicht sie überhaupt unser Herz, dort wo die Angst und die Verzweiflung sich tief eingenistet hat? Es scheint, dass uns der Ruf des Gekreuzigten „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ besser gelingt als das österliche Halleluja.
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – das ist der Schrei, der aus den Kellern von Mariupol zum Himmel dringt, genauso wie von den Schlachtfeldern der Ukraine, aus den Flüchtlingsunterkünften, aus dem von der Flut zerstörten Ahrtal.
Mein Gott, warum hast Du nicht eingegriffen im Garten Gethsemani, warum nicht vor dem Richterstuhl des Pilatus, warum nicht auf Golgotha. Warum hast Du nicht eingegriffen als der gewaltige Regen sich über dem Ahrtal ergoss?
Warum greifst Du nicht ein auf den Schlachtfeldern der Welt, verbiegst die Gewehre, machst die Munition unbrauchbar?
Der Himmel antwortet nicht – das ist das Paradoxe unseres Glaubens. Dass wir das aushalten müssen.
Der Himmel antwortet nicht – oder vielleicht doch? Ist nicht das, wie wir heute Ostern feiern, die Antwort?
Das Licht, das das Dunkel besiegt! Das Wort, das unsere Stummheit hinter sich lässt. Das Wasser, das Verdorrtes wieder blühen lässt. Das Leben, das stärker ist als der Tod. Wir können nicht anders als den Zeichen dieser Nacht zu trauen, hoffen wider alle Hoffnung.
Auf unseren Altären bleibt das Kreuz stehen – auch nach Ostern! Auf manchen künstlerischen Darstellungen hält der Auferstandene das Kreuz wie ein Siegeszeichen umschlungen.
Es ist sein Kreuz und das Kreuz der Menschen, das Kreuz der Hungrigen, Durstigen, Nackten, Gefangenen, Flüchtlinge, Einsamen, Verängstigten, Sterbenden, der Mißbrauchten und Mißhandelten. Es ist das Kreuz derer, mit denen ich täglich zusammenlebe, von denen ich in der Zeitung lese und das Fernsehen berichtet.
Das eine Kreuz steht für alle Kreuze, gegen die Gott selbst mit der Auferstehung Jesu protestiert.
Der Auferstandene zeigt seine Wunden – er verbirgt sie nicht, er vertuscht sie nicht. Ostern feiern, heißt, sie auszuhalten. Aber wie?
Das II.Vatikanische Konzil gab schon vor fast 60 Jahren eine Antwort: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.
Nicht wir stülpen unsere Weltsicht denen da draußen über, sondern wir lassen die Welt mit ihren Verwundungen hinein in unsere Mauern – und hoffen mit ihr, dass überall Ostern wird, auch wenn es sich mit Moment nicht so anfühlt. Die heiligen fünf Wunden, die werden nicht verbunden, sie sprengen, sie sprengen die böse Zeit, heißt es in dem Gedicht von Wilhelm Willms. Eine andere Hoffnung haben wir nicht!
