An diesem 23. Sonntag im Jahreskreis A hören wir wieder als Lesung einen Abschnitt aus dem Römerbrief (13,8-10) des Paulus. Nach all den detaillierten Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln seines Briefes sind die Verse, die wir da heute hören, so etwas wie ein Resümee. Paulus stellt die Liebe als das Prinzip heraus, auf das es in allem und jedem ankommt.
Erinnern wir uns. Paulus war Jude durch und durch. Er kannte das Gesetz, die Tora, er nahm es ernst. Das Gesetz musste erfüllt werden, das ja, aber durch Jesus Christus verlagerte sich gewissermaßen der Akzent. Alles das, was im Gesetz angesprochen wird, gipfelt im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe. Damit erfindet Paulus im Grunde nichts Neues, denn das hätten sie doch alle schon wissen müssen, das hatten die Lehrer doch schon früher gesagt. Es heißt sogar, wenn Israel nur ein einziges Mal die ganze Tora gehalten hätte, wäre sofort die messianische Heilszeit angebrochen. Und auch Jesus Christus sagt da ja nichts Neues, wenn er auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot zurückfragt: „Was liest du?“ Auch Jesus zitiert die Stelle aus dem Buch Levitikus (19,18), in der als Sinngehalt und Norm aller anderen Gebote das Gebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten angeführt wird. Darum kann Paulus im Blick auf Christus, in dem sich die Verheißungen Gottes erfüllt haben sagen: „Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt“. Es gibt grundsätzlich kein Gesetz, das nicht im Liebesgebot verwurzelt und konzentriert ist. Man könnte umgekehrt die Liebe zum Prüfstein für die Stimmigkeit eines jeden Gesetzes machen.
Paulus führt in knapper Form seine Überzeugung noch aus, ganz einfach und jedem verständlich fügt er eine Erklärung an, was Liebe eigentlich ist: „Liebe tut dem anderen nichts Böses“. Das ist so schlicht formuliert und enthält doch den gesamten Komplex der sozialen Gerechtigkeit, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Achtung des Menschen und seiner Rechte, der Unverletzlichkeit der Personwürde des Menschen. In seinem ersten Korintherbrief (13,4-8) legt Paulus das ausführlich dar. In dem Hymnus auf die Liebe, der so gerne bei Hochzeiten als Predigttext gewählt wird, schreibt Paulus selbst den besten Kommentar zu unserer Stelle aus dem Römerbrief. Hören wir einfach da hinein.
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ist nicht eifersüchtig, sie prahlt nicht und bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht unschicklich, sucht nicht ihren Vorteil, sie lässt sich nicht herausfordern und trägt das Böse nicht nach. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf“. Gerade der letzte Satz „Die Liebe hört niemals auf“ – zuerst unglaublich – ist die tiefste Begründung. Denn Gott ist die Liebe und Gott hört niemals auf.
Auf solche Liebe sind wir verpflichtet, solche Liebe schulden wir einander, das ist die einzige Verpflichtung, die aus der Begegnung mit Jesus Christus erwächst, wohl wissend, dass wir immer wieder dahinter zurückstehen. Denken wir immer wieder darüber nach. Wie gehen wir miteinander um? Wie verhalten wir uns zu den Anderen? Und wenn Paulus von den Anderen spricht, meint er alle anderen, er macht keine Ausnahme. Wir werden daran erinnert, dass Jesus sogar die Feindesliebe mit einbezieht. Das wird auch deutlich aus dem, was wir heute im Evangelium (Mt 18,15-20) hören. Da ermahnt uns Jesus, im Konfliktfall behutsam vorzugehen, nicht vorschnell zu verurteilen, dem Gegner möglichst viele Chancen zur Versöhnung zu geben und auch andere Gemeindemitglieder um die Schlichtung des Streits zu bitten. Es kommt immer auf die Liebe an. Sehr schön hat dies einmal der heilige Augustinus formuliert, wenn er sagt: „Schweigst du, so schweige aus Liebe; sprichst du, so sprich aus Liebe; tadelst du, so tadle aus Liebe; schonst du, so schone aus Liebe! Lass die Liebe in deinem Herzen wurzeln, und es kann nur Gutes daraus hervorgehen“.
Ja, es könnte so einfach sein; aber seien wir ehrlich. Oft verhalten wir uns ganz anders, müssen wir demütig bekennen, dass wir es an Liebe haben fehlen lassen. Mit dem eingefügten Bild möchte ich ganz bewusst werben für die Lektüre dieses Papstschreibens. Kern dieses Apostolischen Schreibens unseres Papstes ist fraglos das 4. Kapitel und darin die Abschnitte 90 bis 119, die Auslegung der Verse aus dem ersten Korintherbrief.
Hier finden Sie den Text von Amoris Laetitia.
Bernhard Auel