„Die Sehnsucht nach dem einig Wesen“1
„Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, oder er wird gar nicht mehr sein. Er wird jemand sein, der Gott erfahren hat, oder er wird aufhören, Christ zu sein.“2 Von einem Mystiker möchte ich schreiben, Denn diese Aussage von Karl Rahner – vor vielen Jahren schon formuliert – fällt mir immer wieder ein, wenn ich über den heiligen Bruder Klaus von der Flüe nachdenke. Sein Gedenktag ist der 25. September. Auch zu seinen Lebzeiten (1417 – 1487) durchlebte die Kirche schwierige Zeiten. „Die Kirche des 15. Jahrhunderts hat zwei Gesichter: die offizielle, von Schismen, Machtkämpfen und dem Ansturm der neuen Zeit bedrohten Amtskirche, und die Kirche der Gläubigen, die in Gestalt von Kongregationen und Gebetsbruderschaften breite Schichten des Volkes belebte. … Eine Reaktion auf den Niedergang der Amtskirche war die Emanzipation der Laien.“3
Sicher mehr als 30 mal war ich in Flüeli, wo Bruder Klaus gelebt hat, als durchaus wohlhabender Landwirt, Ehemann und Familienvater einer großen Familie, engagierter Bürger und gläubiger Christ, zuletzt 20 Jahre als Einsiedler im Ranft, getrieben von „unstillbarer Sehnsucht“4. Bis heute wird er verehrt als Friedensstifter, als Patron der Schweiz, nicht nur von den Katholiken, Patron auch der katholischen Landvolkbewegung. Immer wieder sind wir mit den Wallfahrern den Visionenweg gegangen; von den Visionen des Heiligen her konnten wir ihn immer besser verstehen, von ihm lernen. Wenn wir heute über den angemessenen Weg der Kirche diskutieren, spüren wir womöglich, wie aktuell gerade Bruder Klaus und seine Visionen einen Weg weisen. Ich empfehle gerne das Standardwerk zum Thema (siehe Anmerkung 1).
So ist mir sein Gebet der Hingabe zu einem meiner liebsten Gebete geworden; Ich bete es immer wieder, manchmal auch als Bußgebet zu Beginn der heiligen Messe5:
Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich fördert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir.
Hier in einer Fassung aus Taizé:
In Flüeli entdeckte ich bei meinem letzten Besuch im vergangenen Jahr ein lesenswertes Büchlein zu den Visionen – Wege in die Tiefe mit Bruder Klaus. (Herausgegeben von der Bruder-Klausen-Stiftung, Sachseln 2017, Texte von Gregor Müller ) Darin ist das Gebet des Bruder Klaus ausgeweitet. Es lädt ein zur Meditation, zum Weiterbeten.
Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.
Herr und Gott, erbarme Dich
Wenn ich nur an mich denke
Wenn ich dem Erwerb nachrenne
Wenn ich mich von Pflichten drücke
Wenn ich Amt und Ehren suche
Wenn ich meine Stellung missbrauche
Herr und Gott, erbarme Dich
Wenn ich meine Talente nicht nutze
Wenn ich dem Neid verfalle
Wenn ich im Zorn handle
Wenn ich behalte, was ich geben sollte
Wenn ich Unrecht dulde
Herr und Gott, erbarme Dich
Wenn ich die Anstrengungen fürchte
Wenn ich die Wahrheit verdrehe
Wenn ich die Liebe hintansetze
Wenn ich rede, wo ich schweigen sollte
Wenn ich schweige, wo ich reden sollte
Herr und Gott, erbarme Dich
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich fördert zu dir.
Herr und Gott, ich bitte Dich
Gib mir Weisheit von deiner Weisheit
Gib mir Klarheit über mich
Gib mir Verständnis für andere
Gib mir Kraft zum Entscheiden
Gib mir Selbstlosigkeit zum Leben
Herr und Gott, ich bitte Dich
Gib mir Demut zum Glauben
Gib mir Freude an meiner Pflicht
Gib mir Phantasie für dich
Gib mir Ausdauer im Guten
Gib mir Stärke in meiner Schwäche
Herr und Gott, ich bitte Dich
Gib mir Antwort auf meine Fragen
Gib mir Mut zum Entscheiden
Gib mir Licht zum Hoffen
Gib mir Tiefe im Schweigen
Gib mir Liebe zur Schöpfung
Herr und Gott, ich bitte Dich
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir.
Herr und Gott, ich danke Dir
Denn ich bin erwählt von Dir
Denn ich bin berufen von Dir
Denn ich bin erfüllt von Dir
Denn ich bin getragen von Dir
Denn ich bin geführt von Dir
Herr und Gott, ich danke Dir
Denn ich bin glücklich in Dir
Denn ich bin froh in Dir
Denn ich bin sehend in Dir
Denn ich bin gerecht in Dir
Denn ich bin friedliebend in Dir
Herr und Gott, ich danke Dir
Denn ich bin furchtlos in Dir
Denn ich bin geliebt in Dir
Denn ich bin gerettet in Dir
Denn ich bin ewig in Dir
Denn ich bin selig in Dir
Herr und Gott, ich danke Dir
Ein zweites Thema ist seit vielen Jahren die Einbeziehung der Frau des Bruder Klaus, der Dorothea. Gerne mehr dazu bei anderer Gelegenheit. Hier sei es nur angedeutet mit dem Bild der beiden, aufgenommen in Stalden, dem Herkunftsort von Dorothea; dort entstand auch das andere Bild von der Statue des Heiligen auf dem Friedhof.
1 Titel eines Buches von Roland Gröbli zum Leben und zur Lehre des Bruder Klaus von der Flüe, NZN Buchverlag Zürich 1990
2 Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. VII, Einsiedeln, Zürich, Köln 1966, 11–31, hier 22.
3 Gröbli, aO S. 95
4 Gröbli, aO S. 167
5 Gotteslob 9,5