Warum feiern wir eigentlich Gottesdienste? Eine Antwort kann uns das heutige Fest der Erzengel Michael, Gabriel und Raphael geben, wenn wir darauf schauen, was es heißt „Engel“ genannt zu werden.
Wer eine romanische Kirche besucht, in denen die mittelalterlichen Fresken noch erhalten sind, oder eine orthodoxe Kirche, der versteht diesen Hinweis. In der Apsis oder der über dem Kirchenschiff gewölbten Kuppel ist die Feier der göttlichen Liturgie des Himmels dargestellt. Der eigentliche Blickpunkt ist die Majestas Domini, der auferstandene und erhöhte Herr. Die Liturgie feiernde Kirche geht ihm entgegen. Dabei ist der Auferstandene nicht allein. Man muss die ganze Offenbarung des Johannes lesen, um die Bilder der himmlischen Liturgie zu entdecken, die von den Künstlern immer wieder ins Bild gesetzt wurden.

Christus ist umgeben von einer großen Schar singender Engel. Ihr Singen ist die Weise ihrer Anbetung. Im Blick auf unseren Gottesdienst bedeutet das in die Lebensform der Engel eintreten, das Leben zur Anbetung gestalten, soweit es menschlicher Schwachheit möglich ist. Wenn daher der heilige Benedikt in seiner Regel Psalm 138 zitiert, in dem es heißt „Im Angesicht der Engel will ich dir singen“, und wenn er dann betont: „Denken wir also darüber nach, wie man im Angesicht der Gottheit und der Engel sein müsse, und stehen wir so beim Singen, dass unser Herz im Einklang sei mit unserer Stimme“, wenn dem so ist, dann ist das die erste und wichtigste Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage, warum wir eigentlich Gottesdienst feiern. Es geht um Gott.
Von den Engeln zu sprechen heißt darum immer auch von Gott zu sprechen, denn bei den Engeln geht es immer um Gott. In einem Vortrag hat es einmal der Vortragende auf einen ganz einfachen Satz gebracht: „Wozu sind die Engel da? Sie sind da, damit sie »heilig, heilig« singen.“
Womöglich würden Sie gerne dem bisher Gesagten zustimmen, tun sich aber doch schwer mit den Engeln. Zwar ist in den letzten Jahren so manches Buch erschienen, das die Engel im Titel führt, so gesehen kann man durchaus von der Wiederkehr der Engel sprechen, wie es in einem der Titel heißt. Und doch ist das, was mit diesem Namen oft verbunden wird, mehr eine Beschreibung von Menschen, die z. B. gut und hilfsbereit zu anderen sind. Das ist sicher legitim, dennoch aber fern von der biblischen Botschaft vom Engel. Hier ist nicht der Ort, wo die ganze Lehre und das Sprechen von den Engeln vom Alten Testament bis in unsere Tage dargestellt werden kann. Ich möchte nur einige Aspekte benennen.
Ein Erstes: Engel – Angelus – heißt übersetzt Bote. Dass Gott am Werk ist, soll der Engel klar machen. Darum schickt Gott die Boten. Sie machen Gottes Wirken erfahrbar. Von diesem Botenamt her sind Engel zu verstehen. Als Botschafter Gottes darf der Engel keine eigene Politik machen, er richtet nur das ihm Aufgetragene aus. Der Gesandte steht für den Sendenden. Von sich aus kann er nichts tun, er ist reiner Bote. Das drücken auch die Namen der drei Erzengel aus, deren Fest wir heute feiern: „Micha-el – Wer ist wie Gott? – Gabri-el – Mann/Kraft Gottes – Rapha-el – Gott heilt.“
Ein zweiter Aspekt: Engel sind Wachende, Wächter. Sie haben ein waches Empfinden für das Gute. Wir können etwa den Schutzengel Engel des wachen Gewissens nennen. Die byzantinische Liturgie betet darum: „Einen Engel des Friedens, einen treuen Begleiter, einen Wächter für unsere Seelen und Leiber lasst uns vom Herrn erflehen.“
War bisher mehr vom Amt der Engel die Rede, muss wenigstens noch kurz auf sein Wesen geschaut werden. Engel sind Geschöpfe, Geschöpfe wie wir Menschen. In der Präfation beten wir: „An ihrem Glanz und an ihrer Würde erkennen wir, wie groß und über alle Geschöpfe erhaben du, Gott, selber bist.“ So wird für uns gerade auch in den Engeln das Wesen des Menschen anschaubar.
Ein Letztes: die Theologie verbindet die Lehre der Engel mit der Lehre von Jesus Christus. Er wird als der unerschaffene Engel bezeichnet. So singt die Kirche am Weihnachtstag: „Ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter, und man nennt ihn Engel des großen Ratschlusses.“ Christus ist der Bote des Vaters für uns und darin, in der Ausführung des göttlichen Willens, ist er ganz für den Vater. So ist er der Bote von Gott her – und weil er Mensch geworden ist, der Bote vom Menschen zum Vater hin, der Fürsprecher und Anwalt. Er schläft nicht, er ist der Wachende, er, der dich behütet, schläft nicht. Und er ist der heile Mensch, mit dem wir uns verbinden dürfen, um so zur vollen Menschlichkeit zu finden. So findet die Schöpfung ihre Erlösung. Das bekennt Johannes im 12.Kapitel seiner Geheimen Offenbarung (Offb 12,7-12a), wenn er vom Sieg durch das Blut des Lammes spricht.
Folgen wir darum mit unserem Singen und Beten dem Aufruf (Offb 12, 12a): „Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen!“ Denn das ist Liturgie, in diese Anbetung Jesu Christi eintreten.
Wir schauen auf Christus, umgeben von den Engeln des Himmels, mit denen wir – leider oft vergessen – gemeinsam die Liturgie des Himmels und der Erde feiern dürfen. Daran möge das Bild aus der byzantinischen Kirche der Benediktinerabtei Chevetogne in Belgien erinnern.
Bernhard Auel