Der Blick verwandelt

Ich bin zur Zeit viel an der Ahr unterwegs. Was sage ich Menschen, die vor fast einem Jahr die schlimmste Katastrophe ihres Lebens erlebt habe? Das Erlebte ist für sie immer gegenwärtig auch wenn sie Gottesdienst feiern. Ich reise an aus dem 20km entfernten Bonn, das von den Fluten verschont wurde, und ich spüre, ich muss jedes Wort abwägen. Wie verkünde ich ihnen Gottes Wort als frohe Botschaft? Ich habe es versucht mit dem alten Text aus dem 10.Kapitel des Lukas-Evangeliums. Lesen Sie hier weiter

Eine andere Hoffnung haben wir nicht

Vor gut 20 Jahren lief in den Kinos in Deutschland ein Zeichentrickfilm „Der Prinz von Ägyptern“. Er erzählte die Geschichte des Moses und endet mit dem großen Exodus, der Befreiung aus der Knechtschaft und Sklaverei.

Ein Film nicht nur für Kinder -Ashira ha adonai – Führe uns, o Herr – singen die Menschen, junge und alte, Kinder und Greise als sie durch das Rote Meer in die Freiheit ziehen – das Lachen, ihre Fröhlichkeit ist ansteckend.

Bildquelle: Deutschlandfunk

In diesen Tagen erleben wir den Exodus eines ganzen Volkes mitten in Europa – wer bei den abendlichen Fernsehnachrichten in die Gesichter der Menschen schaut, dem vergeht das Lachen. Angst, Verzweiflung, Hunger, Schmerz, –

das ist kein Zug in die Freiheit, das ist Vertreibung, verbunden mit einem furchtbaren Massaker, mit unvorstellbarer Zerstörung der Heimat, mit dem Tod vieler Menschen. Die meisten Frauen sind ohne Männer, die Kinder ohne Väter.

Wir schauen in Augen ohne Hoffnung – und feiern jetzt in dieser Stunde eine Botschaft voller Hoffnung – wie passt das zusammen? Müssten wir nicht die Kerzen löschen, müsste uns nicht das Halleluja auf unseren Lippen ersterben und müssten wir uns nicht in aller Stille davon schleichen.

Ist nicht das Kreuz eher die Realität des menschlichen Lebens?

Es gibt so viele theologische Sätze, die mir als Antwort einfallen – aber sie passen nicht zu den Bildern aus der Ukraine, zu den Bildern vom Tempelberg gestern, zu den Bildern aus dem Ahrtal, 20 km von meiner Wohnung entfernt, wo viele Tausend Menschen in der Flut im letzten Sommer alles verloren haben.

Es sind leere Sätze, Makulatur. Ich mag sie nicht hören und erst recht nicht weitersagen.

Ich weiß, was da in Ost-Europa geschieht, ist nichts Unbekanntes – das Leid ist auf dieser Welt zuhause – im Großen wie im Kleinen – und von vielen schlimmen Dingen erfahren wir nichts, weil keine Kamera die Bilder einfängt.

Wie aber klingt dann unsere Osterbotschaft? Erreicht sie überhaupt unser Herz, dort wo die Angst und die Verzweiflung sich tief eingenistet hat? Es scheint, dass uns der Ruf des Gekreuzigten „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ besser gelingt als das österliche Halleluja.

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – das ist der Schrei, der aus den Kellern von Mariupol zum Himmel dringt, genauso wie von den Schlachtfeldern der Ukraine, aus den Flüchtlingsunterkünften, aus dem von der Flut zerstörten Ahrtal.

Mein Gott, warum hast Du nicht eingegriffen im Garten Gethsemani, warum nicht vor dem Richterstuhl des Pilatus, warum nicht auf Golgotha. Warum hast Du nicht eingegriffen als der gewaltige Regen sich über dem Ahrtal ergoss?

Warum greifst Du nicht ein auf den Schlachtfeldern der Welt, verbiegst die Gewehre, machst die Munition unbrauchbar?

Der Himmel antwortet nicht – das ist das Paradoxe unseres Glaubens. Dass wir das aushalten müssen.

Der Himmel antwortet nicht – oder vielleicht doch? Ist nicht das, wie wir heute Ostern feiern, die Antwort?

Das Licht, das das Dunkel besiegt! Das Wort, das unsere Stummheit hinter sich lässt. Das Wasser, das Verdorrtes wieder blühen lässt. Das Leben, das stärker ist als der Tod. Wir können nicht anders als den Zeichen dieser Nacht zu trauen, hoffen wider alle Hoffnung.

Auf unseren Altären bleibt das Kreuz stehen – auch nach Ostern! Auf manchen künstlerischen Darstellungen hält der Auferstandene das Kreuz wie ein Siegeszeichen umschlungen.

Es ist sein Kreuz und das Kreuz der Menschen, das Kreuz der Hungrigen, Durstigen, Nackten, Gefangenen, Flüchtlinge, Einsamen, Verängstigten, Sterbenden, der Mißbrauchten und Mißhandelten. Es ist das Kreuz derer, mit denen ich täglich zusammenlebe, von denen ich in der Zeitung lese und das Fernsehen berichtet.

Das eine Kreuz steht für alle Kreuze, gegen die Gott selbst mit der Auferstehung Jesu protestiert.

Der Auferstandene zeigt seine Wunden – er verbirgt sie nicht, er vertuscht sie nicht. Ostern feiern, heißt, sie auszuhalten. Aber wie?

Das II.Vatikanische Konzil gab schon vor fast 60 Jahren eine Antwort: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.

Nicht wir stülpen unsere Weltsicht denen da draußen über, sondern wir lassen die Welt mit ihren Verwundungen hinein in unsere Mauern – und hoffen mit ihr, dass überall Ostern wird, auch wenn es sich mit Moment nicht so anfühlt. Die heiligen fünf Wunden, die werden nicht verbunden, sie sprengen, sie sprengen die böse Zeit, heißt es in dem Gedicht von Wilhelm Willms. Eine andere Hoffnung haben wir nicht!

Aus Jerusalem wünsche ich Ihnen allen Gesegnete Ostern!

Gründonnerstag: Soweit die Füße tragen

MISEREOR-Hungertuch

Gott will, dass Ihr ein Segen für seine Erde seid

Vor 20 Jahren habe ich ein Abendmahlsbild gesehen, das so ganz anders war als die bekanntesten Darstellungen, in erster Linie das berühmte Abendmahl von Leonardo da Vinci. Auf diesem Abendmahlsbild sah der Betrachter nur unter den Tisch. Man sah nur die Füße der Jünger.

Als ich vor einigen Wochen wegen Beschwerden am Fuß beim Orthopäden war, sagte er zu mir: „Ihre Füße erzählen von ihrem Leben“. Er hat Recht, unsere Füße tragen die Spuren des Alters, der Wege, die wir schon zurückgelegt haben. Könnten sie erzählen, dann wüssten sie von schönen Strecken und beschwerlichen Etappen.

Wie beweglich doch ein Fuß ist,
wir kennen den leichten und federnden Schritt, wenn etwas Schönes bevorsteht
und den harten und schweren Gang, wenn der Mensch viel auf den Schultern trägt.
Füße tragen uns voran und die Füße geben uns Stand.

Zu Beginn des Abendmahls kniet Jesus nieder, um den Jüngern die Füße zu waschen, um ihnen einen wichtigen Dienst zu erweisen. Aber damit nicht genug. „Füße waschen“ gehört seit jener Stunde zum Auftrag des Christen: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,15)

Was bedeutet das für uns heute?

Die Füße erzählen vom Leben des Menschen. Füße waschen heißt: das Leben waschen. Nicht nur den Füßen zugetan sein, sondern dem ganzen Menschen. Und dabei unten anzufangen. Fußwaschung ist nicht der Ort der Konzepte, der durchdachten Vorstellungen. Fußwaschung ist die schlichte Geste, das einfache Tun. Das Füreinander-Dasein, die Solidarität, die Hilfe.

Sie sagt uns: Seid bereit, einander zu dienen ohne zu fragen: Was krieg ich dafür? Seid bereit, für einander da zu sein, sich für einander einzusetzen.

Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung.
so beginnt das Evangelium der Fußwaschung, so beginnen im vierten Hochgebet der Messe auch die Worte der Wandlung. Fußwaschung und Eucharistie Da scheint es also einen Zusammenhang zu geben – und zwar nicht nur zeitlicher Natur, weil es am gleichen Abend geschieht.

Das ist mein Leib für Euch!“, sagt der Herr. (1 Kor 11,24) – das ist Hingabe. Papst Franziskus lässt nicht nach darin, uns immer zu erinnern: „Die Eucharistie ist […] nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen.“ (EG 47)

Die Kommunion ist nicht etwas nur für mich. Sie ist Zeichen der unübertroffenen Zuwendung Gottes, der will, dass wir uns ihn einverleiben, aber nicht nur für uns und zu unserem Heil. Unser Leben muss ein Echo seiner Liebe und Hingabe werden.

Fußwaschung und Eucharistie, beides ist verbunden mit der Aufforderung des Herrn „Tut dies, zu meinem Gedächtnis!“ Und „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Der Abend des Gründonnerstags erschöpft sich nicht in Endzeitstimmung. Die Stunde des Abendmahls ist die Stunde des Auftrags und des Aufbruchs.

Es geht in diesen Tagen nicht darum, an einem Theaterstück der letzten Stunden im Leben des Jesus von Nazareth teilzunehmen. Es geht darum, zu erkennen, was die alte Botschaft für uns heute bedeutet und weshalb wir sie jedes Jahr neu erzählen.

Vertraut den neuen Wegen – beginnt ein Kirchenlied. Darin heißt es in der 2.Strophe: „Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid“

Was Jesus an jenem denkwürdigen Gründonnerstag getan hat, weist genau in diese Richtung. Er stellt uns die Fragen: Willst Du ein Segen für seine Erde sein?

Der Herr lädt uns ein, am Tisch des Reiches Gottes Platz zu nehmen. Wir können dort nicht bleiben. Unsere gewaschenen Füße müssen uns zu den Menschen tragen.

Karwoche

Die Musik möchte ich Sie einstimmen und lädt Sie ein, noch einmal auf die Fastenzeit und besonders auch auf die letzte Woche zurückzuschauen: ist es Ihnen gelungen, in Ihrem Lebenshaus in den Keller hinabzusteigen und auch auf den Dachboden zu steigen? Scrollen Sie nach unten auf dieser Seite und erinnern Sie sich noch einmal an die Impulse der vergangenen Wochen.

(c) Erzdiözese Wien – Ostergeschichte

Für die Karwoche möchte „wortzumtag“ Sie auf ein interessantes Angebot der Erzdiözese Wien aufmerksam machen. Dort bietet man an, Ostern neu zu erleben – mitten im Alltag auf dem Smartphone. Beginnend mit dem Palmsonntag können Sie die Ostergeschichte im Liveticker auf WhatsApp, Telegram und Facebook Messenger kostenlos abonnieren. Täglich erhalten Sie Push-Nachrichten mit Texten, Bildern, Videos und Sprachnachrichten. So können Sie sich berühren lassen vom Tod und der Auferstehung Jesu – am Smartphone!
Auf dieser Seite gibt es mehr Informationen und auch die Möglichkeit, sich anzumelden. Probieren Sie es aus!

Fastenzeit – 5.Woche

Zu Beginn wieder etwas Musik und die Einladung, noch einmal zurückzuschauen auf die vergangene Woche: haben Sie Berührungspunkte mit Gott entdeckt? Konnten Sie dankbar dafür sein?

Unterwegs im Lebenshaus

Ich stelle mir ein Haus vor, mein Haus, mein Lebenshaus, dies bin ich. In meiner Phantasie gehe ich zur Kellertür und öffne sie langsam. Ich mache das Licht an, steige die Kellertreppe hinunter. Ich habe keine Angst, ich will einfach nur durch den Keller gehen, in Augenschein nehmen, was sich da im Laufe der Zeit angesammelt hat.
Da gibt es säuberlich Geordnetes, da gibt es auch Unfertiges, Unerledigtes. Da gibt es auch Dinge, die ich nicht immer sehen möchte, Dinge, die ich dort verstaut habe, weil ich nicht daran erinnert werden will.

Ich übertrage das Bild weiter auf mich selbst:
meine verborgenen Kräfte und Fähigkeiten; Dinge die auf Abruf bereitstehen und mir in Krisen helfen könnten;
aber auch alles, was ich im Laufe der Jahre weggesteckt, versteckt habe.
Ich nehme es mir einzeln vor und registriere es einfach; einiges, was zu Bruch gegangen ist, reparabel oder nicht;
die Ecken in meiner Seele, die ich lieber nicht betrete oder am liebsten verborgen halten möchte: dort gehe ich hinein, ganz allein, und schaue mich um und achte darauf, was ich dabei empfinde.
Ich sehe meine dunklen Seiten, meine Sünden.

Nur, wer das Unheil ansieht, wird heil. – Ich lese dazu in der Bibel.
….Der Herr antwortete Mose: Mach dir eine Schlange, und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht….
(Num 21,4-9)

Frage:
Welches sind die „Schlangen“ in meinem Leben? Kann ich ihnen gleichsam ins Auge schauen?

Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns.  Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht.
(1.Johannesbrief 1,8-9)

Ich bin eingeladen, zu beten:

Gott (Vater), ich will ehrlich sein vor Dir und vor mir. Du kennst mich und nimmst mich an, wie ich bin. Du hast mich mit Gaben und Fähigkeiten reich beschenkt.

  • Ich aber bin oft mit all dem nicht zufrieden, will mehr und anderes und verbrauche gedankenlos, was Du mir täglich gibst. Verzeih mir, daß ich vieles so selbstverständlich nehme und Dir kaum danke.
  • Oft suche ich nur meine Ruhe, meinen Spaß und kümmere mich nicht um die Wünsche meiner Nächsten.
  • Manchmal regt mich alles auf Ich bin dann kurz angebunden und verletze andere mit meinen bissigen Bemerkungen oder mit abweisendem Schweigen.
  • Du siehst, ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Ich bin oft nicht echt und ehrlich ich selber, sondern spiele eine Rolle – mehr Schein als Sein.
  • Gott, ich interessiere mich wenig für dich, für dein Wort, deine Gebote, für das Gespräch mit dir, für den Gottesdienst. Meine Liebe zu Dir ist schwach. Mit Nichtigkeiten vergeude ich oft meine Zeit.

Gott (Vater) , vergib mir all meine Schuld.

So wie ich in den Keller meines Lebenshauses hinabgestiegen bin, so kann ich auch auf den Dachboden steigen. Dort habe ich alle meine Wünsche, Ideen, Vorstellungen versammelt, die für mich richtungsweisend sind.
Vorne auf dem Speicher stehen klar erkennbar und zum Greifen nahe einige Grundsätze meines Lebens.
In den hinteren Räumen des Dachbodens finde ich meine Sehnsucht, meine Träume vom Leben wieder. Wovon habe ich irgendwann früher einmal geträumt?
Wann habe ich diese Gedanken, dieses Verlangen hier abgestellt, vielleicht als unrealistisch abgetan?
Gibt es noch etwas, was ich am liebsten einmal herunterholen möchte in mein jetziges Leben, etwas, was ich vielleicht doch nicht ganz aufzugeben brauche, nicht wirklich aufgeben möchte?
Was von dem, was ich da sehe, möchte ich wegwerfen, so daß es auf mich keinen bestimmenden Einfluß mehr ausübt, auch nicht insgeheim?

Nehmen Sie sich Zeit für die Bilanz im Keller Ihres Lebenshauses und auf dem Dachboden. Es muss nicht an einem Tag geschehen!.