31.1.2021: Ein Liebesbrief Gottes

Vor zwei Jahren hat Papst Franziskus angeregt, einen Sonntag des Wortes Gottes in jedem Jahr im Januar zu feiern. In seiner Predigt dazu am vergangenen Sonntag sagte der Papst: „Auf das Wort Gottes wollen wir nicht verzichten. Es ist ein Liebesbrief, für uns von dem geschrieben, der uns kennt wie kein anderer: Beim Lesen hören wir wieder neu seine Stimme, nehmen wir sein Gesicht wahr, empfangen wir seinen Geist. Das Wort lässt uns Gott nahe sein …  und uns auf unserem Lebensweg mit Mut erfüllen.“

Kurz und knapp sagt es Giancarlo Sibilia, der Gründer der Piccoli Fratelli der Comunità Jesus Caritas in Foligno in seinem neuen Buch: „Wir müssen das ganze Evangelium wiederentdecken und es in unserem Leben inkarnieren.“
Wenn ich mich auf die Predigt vorbereite, schaue ich oft, was ich schon früher zu den jeweiligen Texten gesagt habe. So richtig dies zum damaligen Zeitpunkt oft war, so anders lese ich dann aber die Texte auf dem Hintergrund, was mich und die Menschen heute beschäftigt.
An einem Beispiel möchte ich dies verdeutlichen. Vor zwei Wochen am 14. Januar hörten wir beim Evangelisten Markus (1,40-45) von einem Aussätzigen, von seiner Bitte, seiner Heilung und vom Verhalten gemäß der Weisung des Mose. Ich las das Evangelium mit ganz anderer Aufmerksamkeit als sonst. Hatte ich vor einigen Jahren den Satz „Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet“ zum Anlass genommen, über Macht und Vollmacht zu sprechen, habe ich in diesem Jahr der Pandemie diesen Abschnitt ganz anders gelesen.
Begriffe wie Lockdown und Quarantäne stehen zwar nicht im Evangelium, die entsprechende Wirklichkeit aber wohl. Und auch genaue Verhaltensregeln waren zu beachten. Ja, Jesus hatte sich selbst durch sein Handeln – er hatte den Aussätzigen sogar berührt und war damit selber infiziert worden – in Quarantäne begeben müssen. So lese ich es in diesem Jahr, wenn es da heißt Jesus konnte sich „in keiner Stadt mehr zeigen; er hielt sich nur noch außerhalb der Städte an einsamen Orten auf“.

Dieses Beispiel mag genügen, um die Aktualität des Evangeliums, des Wortes Gottes zu belegen. Öffnen wir also unsere Ohren und Herzen für Gottes Wort, lassen wir uns überraschen, wie sehr ein Text plötzlich gerade in unseren Tagen ganz anders und hochaktuell klingt.
Selbst die Lesungen am heutigen Sonntag  geben Gelegenheit, so manches Thema einmal aus anderer Perspektive zu diskutieren. Die erste Lesung aus dem Buch Deuteronomium (18,15-20) lässt uns heute gewissenhafter und prüfend darauf achten, wer zu uns spricht. Es gibt viele falsche Propheten, wir sprechen von Fake News, Lügen und Verschwörungstheorien.
Die zweite Lesung aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther ((7,32-35) gibt Gelegenheit, über die heute angemessene Weise über Familie und Ehe zu sprechen angesichts der Erkenntnisse, die unser Leben immer mehr bestimmen.
Und im Blick auf das Evangelium (Mk 1.21-28) fragen wir wie die Zuhörer in der Synagoge damals „Was hat das zu bedeuten?“. Erkennen, ja bekennen wir gerade jetzt, wer Jesus Christus für mich, für uns ist? Mag uns Manches an der Szene auch befremden, sie sollte es nicht. Und auch dieser Text bei Markus kann Anlass sein, über das Thema Macht und Machtmissbrauch nachzudenken.

Vielleicht folgen wir auch dem Vorschlag von Papst Franziskus, der in seiner Ansprache zum Bibelsonntag u. a. gesagt hat: „Das Wort lässt uns Gott nahe sein – halten wir es nicht fern von uns. Tragen wir es immer bei uns – in der Tasche, auf dem Telefon – und geben wir ihm einen würdigen Platz in unseren Häusern. Stellen wir die Heilige Schrift auf einen Platz, wo wir daran erinnert werden, sie täglich aufzuschlagen, vielleicht am Beginn und am Ende des Tages, sodass unter all den Worten, die an unsere Ohren dringen, der eine oder andere Vers des Wortes Gottes zu unserem Herzen gelangt. … In diesem Jahreskreis lesen wir das Markusevangelium, es ist das einfachste und kürzeste. Warum lesen wir es nicht auch allein, jeden Tag einen kurzen Abschnitt? Dies wird uns spüren lassen, dass der Herr nahe ist, und uns auf unserem Lebensweg mit Mut erfüllen“.

Bernhard Auel